Wer draußen im All vor die Tür will, muss alles mitnehmen – Luft, Wasser, Heizung, Kommunikation. Nicht selten ist auch ein Antriebssystem dabei, das mit komprimiertem Gas arbeitet. Die Arbeitskleidung und spezielll der Raumanzug von Astronauten ist ein komplexes Stück Hochtechnologie.
Raumanzüge sind Maßarbeit
Je nach Design kommen sie eher lässig oder eher klobig daher – die Weltraumanzüge, mit denen die Raumfahrer der großen Raumfahrtländer zu ihren Flügen aufbrechen, oder mit denen sie Außenbordmissionen durchführen. Oder auf dem Mond gelandet sind. Die lässigen Designs sind meistens Studien für die nächste Anzuggeneration, oder sie spielen in Kinofilmen mit. Heute verwendete Anzüge sind dagegen umso klobiger, je gefährlicher und anspruchsvoller die Mission ist, die ihr Träger ausführen muss. Die Anzüge, mit denen ESA-Astronauten wie Alexander Gerst die Internationale Raumstation ISS verlassen, kosten um die 12 Millionen US-Dollar. Dagegen sind die Raumzüge, die die Astronauten auf ihrem Flug zur Raumstation oder zurück zur Erde tragen, weniger komplex und etwas preiswerter. Die russischen Kosmonauten fliegen in Maßanzügen, die amerikanischen haben dagegen eine Auswahl von Einheitsgrößen.
Die Ursprünge der Raumanzüge
Vorläufer der modernen Kosmonautenkleidung sind die Druckanzüge, die in den 1930er Jahren für die Piloten von Höhenflugzeugen und für Tiefseetaucher konstruiert wurden. Recht schnell setzten sich zwei Grundformen durch: Die weichen Anzüge waren aus flexiblen Materialien, boten aber eher begrenzten Schutz. Dagegen boten die harten Anzüge ihren Trägern mehr Sicherheit, aber kaum Bewegungsfreiheit. Die meisten Höhenflieger der 1930er Jahre nutzten weiche Anzüge. Jedoch blähten sich die Anzüge in großen Höhen auf, was auch bei dieser Bauart zu eingeschränkter Beweglichkeit führte.
Den ersten einigermaßen praktikablen Höhenanzug bauten 1933 zwei britische Ingenieure. In diesem Anzug überlebte der US-Amerikaner in einer Unterdruckkammer eine simulierte Flughöhe von 27 500 Metern. 1934 konstruierten der US-Flugpionier Wiley Post und der Ingenieur Russell Colley einen Höhenanzug, der an die Anzüge von Tiefseetauchern angelehnt war. Im folgenden Jahr erreichte Post bei einem Ballonaufstieg in einem verbesserten Modell dann eine Höhe von 15 Kilometern.
Ebenfalls 1935 stellte die Lübecker Firma Dräger einen weichen Anzug aus Seide und mit Seidenschnur belegtem Gummi vor. Er erwies sich als untauglich, bildete aber die Grundlage für weitere Versuchsanzüge, die Dräger in den folgenden Jahren herstellen sollte. In Italien konstruierte man einen harten Anzug, der jedoch so schwer war, dass die Flieger zum Flugzeug getragen und hineingehoben werden mussten.
Die ersten praktikablen Raumanzüge
1940 stellte die britische Industrie einen praktikablen Höhenanzug vor. Er konnte an den Beinen eingeschürt werden. Am Oberschenkel war eine Sauerstoffflasche befestigt. Dagegen tat sich die amerikanische Industrie mit Höhenanzügen schwer. Einer der Prototypen war 35 Kilo schwer und wäre in großen Höhen oder erst recht im erdnahen Weltraum komplett steif geworden. Ein weiteres Anzugmodell war zwar beweglicher, wies aber schlechte Lüftungseigenschaften auf. Dräger konstruierte einen harten Anzug, der sich als einigermaßen verwendbar erwies. Er war stabil genug, um den hohen Innendruck zu halten, blieb aber auch im Hochvakuum beweglich. Sein Nachteil war sein hohes Gewicht.
1943 ließ sich der US-Amerikaner Russell Colley von Schmetterlingsraupen zu einem aus Segmenten bestehenden harten Anzug anregen. 1964 griff dann die NASA dieses Konzept wieder auf, als die Raumfahrtbehörde nach einem Anzug für Außenarbeiten und Einsätze auf anderen Himmelskörpern suchte. Allerdings flogen die amerikanischen und sowjetischen Raumfahrer weiterhin mit weichen Raumanzügen ins All. Konstruktionsmerkmale wie blendfreie, goldbeschichtete Visiere zum Schutz der Augen oder rückwärtige Einstiege in den Raumanzug wurden allgemein eingeführt.
Die sowjetischen Kosmonauten der 1970er und 1980er Jahre unternahmen in harten Anzügen ihre Außeneinsätze. Dagegen schickte die NASA ihre Astronauten bei den Shuttle-Missionen mit hybriden Raumanzügen auf Außeneinsätze. Diese Anzüge waren im Rumpfbereich mit GFK ausgesteift. Auch die Anzüge, die die NASA heute einsetzt, sind so gefertigt.
Astronauten-Garderobe
In der Raumfahrt kommen zwei Arten von Anzügen zum Einsatz. Die Rettungsanzüge dienen zur Sicherheit der Besatzung eines Raumfahrzeugs bei Start und Landung. Sie versorgen die Raumfahrer, falls in der Kabine der Druck abfällt oder das Raumschiff eine andere Havarie erleidet. Siegmund Jähn, der erste Deutsche im All, hat so einen Anzug getragen, ebenso die Apollo-Astronauten oder die Shuttle-Besatzungen. Einsatzanzüge sind dagegen wesentlich komplexer und stellen in vieler Hinsicht kleine Raumschiffe dar. Sie verfügen über eine eigene Energieversorgung, haben Sauerstoff und Trinkwasser an Bord, sind klimatisiert und einige Modelle verfügen über einen eigenen Antrieb.
Ein Raumanzug besteht aus mehreren Schichten von Textilien, Kunststoffen und, je nach Modell, auch metallenen Komponenten. Bevor sie den eigentlichen Anzug anlegen, ziehen Astronauten jedoch eine Spezialunterwäsche an. Unter den Rettungs- oder Fluganzügen für den Raumflug ist das eine Art Skiunterwäsche, die warm hält. Unter den Einsatzanzügen tragen sie dagegen eine Art Overall, in dessen Neopren Leitungen für Luft und Kühlwasser eingewoben sind. Mit dem Kühlsystem wird verhindert, dass sich der Anzug überhitzt, während durch die Luftzirkulation Sauerstoff eingeleitet und Kohlendioxid ausgefiltert wird. Die Rettungs- oder Fluganzüge sind aus feuerhemmenden Aramidfasern gefertigt.
Ein Raumanzug ist ein Raumschiff im Miniaturformat
Dagegen sind die Einsatzanzüge für Außenarbeiten wesentlich komplexer. Sie müssen extreme Temperaturunterschiede von minus 100 Grad Celsius im Schatten bis plus 150 Grad Celsius in der Sonne aushalten. Außerdem müssen sie ihren Träger vor Mikrometeoriten schützen. Diese Anzüge bestehen aus sieben Schichten. Als Außenhaut fungiert unempfindliches Kunststoffgewebe. Darunter liegen fünf aluminiumüberzogene Isolierschichten und ein Futter aus gummibeschichtetem Nylon.
Der Helm besteht aus Fiberglas. Er wird durch einen Ringverschluss mit dem Anzug verbunden. Das Visier ist gegen UV-Strahlung beschichtet. Außerdem lassen sich klappbare Filter einschieben, um die Augen vor starker Sonneneinstrahlung zu schützen. Zudem besteht das Visier aus zwei Scheiben, zwischen denen Sauerstoff zirkuliert. So kann es nicht beschlagen.
Im Rumpfbereich des Anzugs befinden sich Anschlüsse für Abluft, Sauerstoff, Kühlwasser und Kommunikation. Im oberen Anzugteil befindet sich ein Beutel, der 80 Mililiter Trinkwasser fasst. Einige Anzugmodelle verfügen über Antriebssysteme, die der Astronaut mit einer Art Joystick steuern kann.
Kraftwerk für den Raumzug: Der Rückentornister
Im Rückentornister finden Batterien und Sauerstoffflaschen ihren Platz. Hier wird die ausgeatmete Luft wieder aufbereitet. Das System entfernt Kohlendioxid aus dem Gasgemisch und reichert es mit Sauerstoff an. Im Anzug herrscht wesentlich geringerer Luftdruck als unter auf der Erde, nämlich nur 0,29 bar. Hier hat die Luft auf Meereshöhe einen Druck von 1 bar. Zum Vergleich: An Bord eines Airliners liegt der Luftdruck bei 0.6 bar. Das entspricht etwa dem Luftdruck in 2000 Metern Höhe. Auf der ISS hat die Luft einen Druck, der etwa dem Luftdruck in 4000 Metern Höhe entspricht.
Durch den geringen Luftdruck kann der Raumzug leichter gebaut werden. Das macht den Astronauten beweglicher, hat aber auch eine andere Konsequenz: Die Astronauten müssen vor dem Ausstieg eine Zeit lang reinen Sauerstoff atmen. So vermindern sie die Konzentration des im Körpergewebe gelösten Stickstoffs und verhindern, dass sie bei der Umstellung auf die Anzugluft eine Art Taucherkrankheit bekommen.
Mit Windel in den Einsatz
Etwas heikel, aber trotzdem wichtig: Der Urinsammler. Frauen tragen eine Art Binde, Männer eine Windel. Das Wäschestück fasst rund einen Liter Flüssigkeit. Es soll verhindern, dass sich unkontrolliert Flüssigkeit im Anzug ausbreitet. Genau das war nämlich beim ersten bemannten Raumflug der USA passiert. Eigentlich hatte Alan Shepard nur zu einem 15 Minuten dauernden Flug in seiner Mercury-Kapsel starten sollen. Aber dann musste er wetterbedingt mehrere Stunden in seiner vollgetankten Rakete auf den Start warten. Irgendwann meldete sich seine Blase. Nach einigem Hin und Her durfte sich Shepard in seinen Anzug erleichtern – allein schon, um den prestigeträchtigen Flug nicht zu gefährden. Der erste US-Amerikaner flog also im wahrsten Sinne des Wortes mit einer vollen Hose ins All.
Bildnachweis: Titelbild: ©NASA, – #01: ©DLR, – #02: ©DLR, – #03: ©NASA, – #04: ©NASA,- #05: ©NASA, – #06: ©Cplakidas via Wikimedia Commons