Die MRCA „Tornado“-Kampfflugzeuge der Bundeswehr sind das Produkt eines der größten militärischen Beschaffungsvorhaben in Europa. Seit Mitte der 1980er Jahre bilden sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien und Italien das Rückgrat der Bomberwaffe. Zudem fliegen Maschinen aus der britischen Produktion auch in der Luftwaffe von Saudi-Arabien. Neben den reinen Jagdbombern gibt es Spezialversionen zur elektronischen Kriegsführung und zur Aufklärung. Hinzu kommt eine Abfangjägervariante, die aber nur noch von Saudi-Arabien eingesetzt wird. Die britischen und italienischen Maschinen wurden mit der Einführung des Eurofighters außer Dienst gestellt.
Die deutschen MRCA „Tornados“ haben Probleme
Trotz ihrer Bedeutung als Waffenträger und Aufklärer hat Deutschland seine „Tornados“ in den letzten Jahren ähnlich vernachlässigt wie den Rest der Bundeswehr. Wie in nationalen Leitmedien wie dem „Spiegel“ oder der Wochenzeitung „Die Zeit“ jüngst zu lesen war, erfüllen die Kampfflugzeuge neuerdings nicht mehr die NATO-Anforderungen. Die Maschinen sind zwar immer wieder modernisiert worden, aber ihre IT-Systeme und die Verkabelung stammen immer noch aus den 1980er Jahren; eine Erneuerung ist also eigentlich überfällig, wenn die Bundeswehr die MRCA „Tornados“ noch bis 2035 betreiben will.
Für die Kampftauglichkeit hat die Veralterung jedoch negative Konsequenzen. Zur Zeit sind die 93 Jets im Bestand der Luftwaffe nicht hinreichend gegen elektronische Störmaßnahmen geschützt. Außerdem fehlt ein zeitgemäßes verschlüsseltes Kommunikationssystem, dass das Abhören durch den Gegner stark erschwert. Speziell das Freund-Feind-Erkennungssystem erfüllt nicht mehr die neuesten NATO-Anforderungen und müsste eigentlich sogar kurzfristig ausgetauscht werden, aber dafür fehlt das Geld. Nur mit diesem Erkennungssystem ist aber gewährleistet, dass die Kampfflugzeuge im Einsatz von ihresgleichen erkannt und nicht irrtümlich abgeschossen werden. Auch die Einsatzbereitschaft ist nicht befriedigend. Von den 93 MRCA „Tornados“ sollen zur Jahreswende 2017/2018 nur 23 einsatzbereit gewesen sein. Damit hätte die Bundeswehr nicht einmal über die 33 Maschinen verfügt, die sie laut Bündnisverpflichtungen eigentlich für die schnelle Eingreiftruppe der NATO bereitstellen sollte.
Ursache: Die Systemkrise in der Bundeswehr
Allerdings liegt es nicht einfach nur am fehlenden Geld und an fehlenden Ersatzteilen. Wie der „Spiegel“ berichtete, ist nicht einmal klar, ob die Modernisierung überhaupt technisch machbar ist. Dabei sind die Flugzeuge ironischerweise in den letzten Jahren sehr wohl in mehreren Stufen modernisiert worden. Auch können neue Standards für Freund-Feind-Erkennungssysteme in einem bürokratischen Gefüge wie der NATO kaum überraschend kommen. Eher ist anzunehmen, dass die Verantwortlichen gerade die Modernisierung der IT-Systeme, der Kommunikation und der Freund-Feind-Erkennung immer wieder auf die lange Bank geschoben haben. Offensichtlich fordert auch hier das in den letzten Jahren übliche Sparen bei der Ersatzteilbeschaffung seinen Tribut. Hinzu kommt, dass sie bei einem nicht mehr produzierten Waffensystem wie dem MRCA „Tornado“ sowieso teurer ist.
MRCA „Tornado“-Verband mit Nuklearrolle: Das TaktLwG 33
Die Luftwaffe verfügt gegenwärtig über zwei mit MRCA „Tornado“ ausgerüstete Geschwader. Das Taktische Luftwaffengeschwader 33, früher Jagdbombergeschwader 33, ist ein klassischer Luftangriffsverband. Seine Aufgaben umfassen den Kampf gegen Luftstreitkräfte am Boden, Abriegelung aus der Luft, Luftnahunterstützung und sowie den Einsatz von Atomwaffen unter NATO-Kommando. Das TaktLwG 33 ist mit der IDS- oder Jagdbombervariante des MRCA „Tornados“ ausgerüstet. „IDS“ steht für „Interdiction Strike“; „Interdiction“ steht für Luftangriffe bis ins feindliche Hinterland hinein, „Strike“ dagegen für die nukleare Angriffsrolle.
Das Waffenspektrum umfasst dabei neben den beiden Bordkanonen 27 mm herkömmliche ungelenkte Bomben verschiedener Kaliber, lasergelenkte Bomben der Typen GBU-38 und GBU-54, GPS-gesteuerte Gleitbomben (JDAM oder Joint Directed Attack Ammunition, zu deutsch etwa ‚Gemeinsame gesteuerte Angriffsmunition‘) und den konventionellen Marschflugkörper „Taurus“. Für die Nuklearrolle können die Maschinen mit der taktischen Atomwaffe B-61 bestückt werden, die allerdings der US- bzw. NATO-Kontrolle unterliegen.
„Immelmann“-Geschwader – ein echter Mehrzweck-Verband
Aufgaben des Taktischen Luftwaffengeschwaders 51 „Immelmann“ sind die Luftaufklärung durch bemannte und unbemannte Luftfahrzeuge sowie die Bekämpfung der gegnerischer Luftverteidigung mit dem Tornado ECR. „ECR“ steht für „Electronic Combat Reconnaissance“, also elektronische Kriegsführung und Aufklärung. Die ECR-Variante des „Tornados“ verfügt über spezielle Elektronik zum Aufspüren und Bekämpfen von feindlichen Radarstellungen. Außerdem können die ECR-Tornados Anti-Radar-Lenkwaffen vom Typ AGM-88 „Harm“ verschießen. Hinzu kommt seit 2005, seit Auflösung des letzten „Tornado“-Geschwaders der Marineflieger, auch der Luftkrieg über See. Gegen Seeziele können neben „Kormoran“-Lenkwaffen auch die „Harm“-Flugkörper und lasergelenkte Bomben eingesetzt werden. Das Geschwader verfügt dabei eine Staffel „Tornados“ und eine Staffel mit unbemannten Aufklärungsdrohnen. Die „Tornado“-Staffel hat einen gemischten Bestand aus ECR- und IDS-Maschinen, wobei die IDS-Maschinen verschiedene Sensorbehälter zur optischen Aufklärung einsetzen können. Die Buchstärke der 1. Staffel des Geschwaders liegt bei 25 Maschinen, einschließlich fünf Trainern mit Doppelsteuerung.
Bis 2017 war außerdem ein Ausbildungsverband, das Taktische Ausbildungszentrum der Luftwaffe auf der US-amerikanischen Holloman AFB in New Mexiko, mit vierzehn MRCA „Tornados“ ausgerüstet. Diese Flugzeuge verfügen über eine Doppelsteuerung, sodass auch vom hinteren Sitz aus, dem Platz des Fluglehrers, geflogen werden kann. Diese „Tornado“-Trainer werden nun mit der Auflösung des Zentrums in Holloman dem TaktLwG 51 zugeschlagen, dass damit eine weitere fliegende Staffel aufstellt.
„Tornados“ im Einsatz gegen den so genannten ‚Islamischen Staat‘
Im Rahmen der Operation „Counter DAESH“ waren seit dem 8. Januar 2016 vier „Tornados“ auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik stationiert. Die Flugzeuge flogen Aufklärung zur Unterstützung des Kampfes gegen den so genannten ‚Islamischen Staat‘ auf syrischem und irakischem Territorium. Zum Kontingent gehört auch ein Airbus A310 MRTT-Tankflugzeug, das seinen ersten Einsatz schon am 15. Dezember 2015 geflogen hatte. Weil die türkische Regierung Truppenbesuche von Bundestagsabgeordneten verboten hatte, wurden die Flugzeuge jedoch abgezogen und nach Jordanien verlegt. Der Airbus-Tanker flog bereits ab Juli 2017 seine Einsätze vom jordanischen Fliegerhorst bei Al Asrak aus. Die MRCA „Tornados“ wurden zunächst nach Deutschland zurück verlegt, sodass Ersatzmaschinen erst ab 4. Oktober 2017 wieder Aufklärungseinsätze über der Krisenregion flogen. Zur Zeit sind ständig vier Maschinen auf der Muwaffaq Salti Air Base stationiert. Außerdem hält das TakLwG 51 zwei Maschinen als Ausfallreserve in Bereitschaft.
MRCA „Tornado“ – Nachrüsten statt Ersetzen
Welches Kampfflugzeug den MRCA „Tornado“ ersetzen soll, ist immer noch offen. Bereits seit Anfang des Jahrhunderts gibt es immer wieder Diskussionen darüber. Die Marineflieger hatten seinerzeit sogar ein Flugzeug mit Senkrechtstartfähigkeit gefordert, um bei Bedarf von den Flugzeugträgern der NATO-Verbündeten operieren zu können. In Großbritannien hatte die RAF im Rahmen des seit 1994 laufenden „FOAS“-Projekts (FOAS steht für Future Offensive Air System oder Zukünftiges Luftangriffs-System) verschiedene Optionen untersucht. Darunter waren ein neues Kampfflugzeug, Drohnen und Marschflugkörper gewesen, idealerweise als verbundenes System, aber das Projekt wurde aus Kostengründen 2005 eingestellt. Dafür war Großbritannien schon 2001 ins Joint Strike Fighter-Programm eingestiegen, das zur F-35 führte.
Die RAF entschied sich dafür, den „Eurofighter“ auch als Jagdbomber zu nutzen und eine Mehrzweckversion zu beschaffen, die viele im Rahmen von FOAS definierte Fähigkeiten besitzen sollte. Daraus wurde dann der „Eurofighter“ Tranche 3, der bei der RAF als „Typhoon“ FGR 4 firmiert und den auch die deutsche Luftwaffe beschafft. Ein ehemaliges „Tornado“-Geschwader der Luftwaffe, das Taktische Luftwaffengeschwader 31 „Boelcke“, ist auf „Eurofighter“ umgestiegen, hat aber die Luftangriffsrolle behalten.
Die deutschen MRCA „Tornados“ werden modernisiert
Das deutsche Pendant zu FOAS hieß FAWS oder „Future Airborne Weapon System“, zu deutsch etwa „Zukünftiges fliegendes Waffensystem“. FAWS untersuchte im Prinzip die gleichen Optionen wie FOAS, also völlig neue Flugzeuge, nachgerüstete etablierte Typen sowie einen Verbund aus bemannten Kampfjets, Drohnen und Marschflugkörpern. FAWS sollte zu einem Waffensystem führen, das sowohl Luft-Boden-Einsätze und Aufklärung fliegen konnte als auch die ECR-Tornados ersetzen konnte.
FAWS führte zu keinem konkreten Projekt für einen MRCA „Tornado“-Nachfolger. Dafür wurde aus dem „Eurofighter“ ein Mehrzweckkampfflugzeug; außerdem rüstete man die deutsche „Tornado“-Flotte im Rahmen des dreistufigen „ASSTA“-Programms nach, damit sie moderne Präzisionswaffen und Marschflugkörper einsetzen konnten. Auch die Cockpits, das Navigationssystem und die Selbstschutzsysteme wurden modernisiert. Zur Zeit läuft „ASSTA-3.1“, das alle verbliebenen MRCA „Tornados“ der Luftwaffe auf den gleichen Ausrüstungsstandard bringen soll. Unterschiede wird es dann nur noch zwischen IDS- und ECR-Maschinen geben, wobei die ECR-Maschinen keine Bordkanonen haben und über ein elektronisches System zum Orten, Identifizieren und Bekämpfen gegnerischer Flugabwehrsysteme verfügen.
Nachfolger für den MRCA „Tornado“ gesucht
Allerdings sollen die Kampfflugzeuge ab Mitte des nächsten Jahrzehnts nach und nach ersetzt werden. Aber die Frage, welcher Flugzeugtyp das sein wird, ist offen. Im November 2017 sagte ein hoher Luftwaffenoffizier am Rande der International Fighter Conference in der britischen Fachzeitschrift Jane’s, die bevorzugte Wahl der Luftwaffe sei die Lockheed Martin F-35. Begründet wurde das mit den Stealth-Fähigkeiten der F-35. In einem Interview gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters unterstrich dann der Inspekteur der Luftwaffe, General Karl Müllner, diese Position: „Aus militärischen Gesichtspunkten brauchen wir eine geringe Radar-Signatur und die Fähigkeit, aus großer Distanz Ziele zu erkennen und zu bekämpfen.“ Und gegenwärtig erfüllt nur die F-35 diese Anforderungen. Allerdings hat das F-35-Programm große Probleme. Zudem ist das Flugzeug recht teuer – pro Stück etwa 80 Millionen US-Dollar. Und der Preis dürfte in den nächsten Jahren eher steigen.
Weitere Optionen wären Kampfflugzeuge, die zur Zeit in Produktion sind. Das könnten die Boeing F-15E „Strike Eagle“ oder die Boeing F-18E/F „Super Hornet“ sein, aber auch eine spezialisierte Luftangriffs-Version des „Eurofighters“. Das Verteidigungsministerium favorisiert den „Eurofighter“, wie aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Ralf Brauksiepe vom Februar 2018 hervorgeht. Danach würde eine Beschaffung weiterer „Eurofighter“ die industrielle Basis in Deutschland und Europa stärken; außerdem würde die Wertschöpfung im eigenen Land erfolgen. Hinzu kommt, dass dieser Flugzeugtyp schon im Einsatz ist und die Luftwaffe bereits über etablierte Strukturen verfügt. Es ist also recht wahrscheinlich, dass die Bundeswehr weitere „Eurofighter“ bestellen wird.
Anfangs tauchte ein gemeinsames deutsch-französisches Kampfflugzeug-Projekt in der Diskussion auf. Dieses Projekt gibt es tatsächlich, aber dabei geht es um den Nachfolger für den „Eurofighter“ und die französischen „Rafale“-Kampfflugzeuge.
Rückblick: Die MRCA „Tornados“ der Bundeswehr
Vom MRCA „Tornado“ wurden zwischen 1973 und 1999 insgesamt 977 Maschinen produziert. Hersteller war ein deutsch-britisch-italienisches Firmenkonsortium.
- Deutschland erhielt 357 Flugzeuge,
- Großbritannien 398,
- Italien 100 und
- Saudi-Arabien 120 Kampfjets.
Die Bundeswehr rüstete damit sechs Geschwader aus – vier Jagdbombergeschwader der Luftwaffe und zwei Marinefliegergeschwader. Außerdem erhielt das Erprobungszentrum der Luftwaffe, die WTD 61, eine kleine Anzahl „Tornados“. Zunächst betrieben Deutschland, Großbritannien und Italien gemeinsam ein „Tornado“-Ausbildungszentrum auf dem brtitischen Fliegerhorst Cottesmore. Das wurde jedoch nach Ende des Kalten Krieges aufgelöst. Deutschland verlegte seine Ausbildung ins Deutsche Luftwaffen-Ausbildungszentrum auf der Holloman AFB in den USA, das aber 2017 geschlossen wurde.
Eines der deutschen Jabo-Geschwader erhielt die ECR-Maschinen zur Bekämpfung feindlicher Flugabwehrsysteme, ein weiteres, das damalige JaboG 33 in Büchel, bekam die Nuklearrolle zugewiesen. Bereits in den Neunziger Jahren gab es die ersten Veränderungen. Eines der „Tornado“-Geschwader der Marine, das MFG 1, wurde 1993 aufgelöst. Aus den Flugzeugen und dem Personal wurde ein Aufklärungsgeschwader, das AG 51 „Immelmann“ neu aufgestellt. Das ersetzte das alte AG 51 sowie das AG 52, die beide RF-4E „Phantom II“-Aufklärer geflogen hatten.
Mit dem Beginn dieses Jahrhunderts verkleinerte die Bundeswehr dann ihre Bomberverbände drastisch. Das Jagdbombergeschwader 34 „Allgäu“ wurde 2003 aufgelöst, 2005 folgten das Jagdbombergeschwader 38 „Friesland“ und das Marinefliegergeschwader 2. Dessen maritime Aufgaben übernahm damals das AG 51. Der ECR-Verband JaboG 32 wurde 2013 aufgelöst, Maschinen und Aufgaben gingen wiederum ans AG 51. Dafür blieb das JaboG 31 „Boelcke“ bestehen, rüstete aber ab Juli 2010 auf den „Eurofighter“ um.
MRCA „Tornados“ im Auslandseinsatz
Ironischerweise trugen die „Tornado“-Verbände zusammen mit den Transportfliegern und den Hubschrauberverbänden die Hauptlast bei den immer häufiger werdenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr. MRCA „Tornados“ des JaboG 32 und des AG 51 bildeten im italienischen Piacenza das Einsatzgeschwader 1, das während des Bosnien-Konflikts 1995 und während des Kosovo-Krieges 1999 zum Einsatz kam. Außerdem beteiligten sie sich an den Überwachungsmissionen zur Durchsetzung der jeweiligen Waffenstillstandsvereinbarungen. Zwischen April 2007 und November 2010 waren sechs Maschinen, wiederum ein gemischter Verband aus ECR-Tornados und Aufklärern, im afghanischen Mazar-e-Sharif stationiert, um die ISAF-Mission zu unterstützen.
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