Eine historische Mission ist beendet. Gegen 13:19 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit am 30. September 2016 sendete die europäische Kometensonde „Rosetta“ ihre letzte Daten, bevor sie wie geplant auf der Oberfläche aufsetzte. Das Flugteam am European Space Operations Centre in Darmstadt geht nun davon aus, dass die Sonde beim Aufprall zu stark beschädigt wurde, um weiter Daten zu übermitteln. Beim Abstieg schickte die Sonde einmal mehr beeindruckende Bilder des Kometenkerns zur Erde.
Rosetta und „67P/Tschurjumow-Gerassimenko“
„Rosetta“ hat den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko während der sonnennahen Phase seiner Bahn erforscht und die in Deutschland gebaute Landeeinheit „Philae“ abgesetzt.
Die Mission ist ein überwiegend europäisches Unternehmen; die amerikanische NASA ist nur durch Bereitstellung von Signal-Übertragungskapazitäten beteiligt gewesen.
Die Mission umfasste mehr als ein Jahrzehnt und brachte wertvolle Erkenntnisse über die Zusammensetzung von Kometen und die chemischen Bestandteile des frühen Sonnensystems.
Die deutsche Beteiligung
Deutschland war mit zahlreichen Instrumenten und industriellen Beiträgen an der Mission beteiligt. Der Orbiter, also die eigentliche „Rosetta“-Sonde, wurde von EADS Astrium (heute Airbus) in Friedrichshafen gebaut. „Philea“, das Landemodul, ist das Produkt eines internationalen Konsortiums unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Für den Orbiter lieferte das DLR Instrumente zur Kartierung, zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der Oberfläche und der Gas- und Staubwolke um 67P. Hinzu kamen elektronische Komponenten und Software. Außerdem stellte das DLR drei Experimente auf dem Lander. Eines sollte mit Hilfe von Schallwellen den Aufbau des Kometen näher untersuchen, zwei weitere sollten thermische Eigenschaften und Festigkeit ermitteln.
Wichtigster DLR-Partner war das Institut für Sonnensystem-Forschung der Max-Planck-Gesellschaft. Von dort kamen das Landegestell, der Abstoßmechanismus für die Trennung von „Philea“ und „Rosetta“ und ein chemisches Analyseinstrument. Das Harpunensystem, mit dem sich „Philae“ auf dem Kometen verankern sollte, wurde am Max-Planck-Institut für Extraterrestrik in Garching konstruiert. Zudem waren die Universitäten Münster, Mainz und Braunschweig beteiligt.
Das European Space Operations Centre (ESOC) in Darmstadt kontrollierte „Rosetta“, während „Philae“ vom DLR-Zentrum für Weltraumexperimente (MUSC oder Microgravity User Support Center) in Köln gesteuert wurde.
Anfänge und Flugverlauf
Der Plan für den Flug stammt aus den frühen Neunziger Jahren. Im November 1993 beschloss die europäische Weltraumorganisation ESA (European Space Agency), eine Sonde zu einem Kometen zu schicken. Ziel war zunächst der Komet 46P/Wirtanen. Aber der konnte nicht angeflogen werden, weil die Trägerrakete zum vorgesehenen Starttermin Anfang 2003 nicht flugbereit war. Also musste ein anderer Komet gefunden werden, und so wurde 67P/Tschurjumow-Gerassimenko ausgewählt. Am 2. März 2004 um 8.17 Uhr MEZ hob dann die Ariane 5G-Rakete mit „Rosetta“ und dem Lander „Philae“ an Bord vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana ab.
Allerdings sollte der Flug rund zehn Jahre dauern, denn keine existierende Trägerrakete entwickelt genug Schub, um eine Raumsonde auf einen Direktflug in eine Kometenbahn zu bringen. Also brachte die Rakete „Rosetta“ nur auf eine erdnahe Bahn um die Sonne. Die Sonde holte dann mit mehreren Swing-By-Manövern an Erde und Mars Schwung, um die Bahn des Zielkometen erreichen zu können.
Am 4. Juli 2005 passierte „Rosetta“ den Kometen 9P/Temple und lieferte Bilder vom Einschlag des Impaktors der Sonde „Deep Impact“, die die NASA auf den Weg geschickt hatte. Die Sonde hatte ein Geschoß auf den Kometen „Temple“ abgefeuert, um die Staubwolke des Einschlags zu untersuchen.
Drei Jahre später gelang ein weiterer spektakulärer Vorbeiflug. Dieses Mal flog „Rosetta“ in 800 Kilometern Entfernung am 4,6 Kilometer großen Asteroiden Steins vorbei. Die Navigationskameras und die wissenschaftliche Kamera lieferten interessante Nahaufnahmen eines Asteroiden. Einen zweiten Asteroiden passierte die Sonde am 10. Juli 2010.
Diesen Himmelskörper, den 100 km großen Asteroiden Lutetia nutzte das Team, um die wissenschaftlichen Instrumente an Bord zu testen. An diesem Punkt war „Rosetta“ 407 Millionen Kilometer von der Sonne und 455 Kilometer von Erde entfernt.
Die Energieversorgung durch Solarzellen in dieser Entfernung von der Sonne war ein weiteres Novum, zumal die Sonde noch weiter hinaus fliegen sollte. Denn die Strahlungsintensität der Sonne sinkt im Quadrat zur wachsenden Entfernung von der Sonne. Daher haben Raumsonden, die zu den äußeren Planeten geschickt werden, keine Solarpaddeln, sondern Atombatterien zur Stromversorgung. „Rosettas“ Solarmodule waren großzügig bemessen. Trotzdem versetzte die Missionskontrolle das Raumfahrzeug zwischen März 2011 und Januar 2014 in einen Ruhezustand, um Strom zu sparen.
Der 20. Januar 2014 war für das „Rosetta“-Team in Darmstadt eine echte Nervenprobe. Denn niemand konnte wissen, ob die Sonde den langen Winterschlaf überstanden hatte und sich planmäßig melden würde. Als die ersten Signale eingingen, war die Erleichterung groß. Zu diesem Zeitpunkt war die Sonde neun Millionen Kilometer von ihrem Ziel entfernt. Am 28. März 2014 ging der Lander „Philea“ online.
Bereits während des Anflugs konnte die Sonde Aktivitäten auf dem inzwischen „Tschuri“ getauften Kometen beobachten. Je näher „Tschuri“ der Sonne kam, desto mehr heizte sich seine Oberfläche auf. Eine auch ‚Koma‘ genannte Hülle aus Gas und Staub bildete sich. Am 11. Juli schickte „Rosetta“ das erste Bild zur Erde. Allerdings war 67P nur als unregelmäßige Form erkennbar. Das ließ Wissenschaftler vermuten, der Komet bestünde aus zwei verschieden großen, sich berührenden Körpern. Aber erst eine genauere Untersuchung von 67P brachte hier Klarheit.
In den folgenden Monaten führte „Rosetta“ mehrmals Bremsmanöver aus, um zum Kometen aufzuschließen. Anfang August überholte sie 67P und kam 100 Kilometer vor ihm zum relativen Halt.
Ein Komet wird besichtigt
Anfang September 2014 schwenkte „Rosetta“ in eine Umlaufbahn um 67P ein. Nun erkundeten die Wissenschaftler die Oberfläche genauer und suchten nach einer geeigneten Landestelle für „Philae“. In dieser Phase entstand auch die erste genaue Karte eines Kometen.
Bereits Ende August hatten die Wissenschaftler fünf geeignete Landeplätze ausgemacht und wählten dann den Ort mit der besten Sonneneinstrahlung aus.
Er lag auf dem kleineren Kometenkopf und bot rund sieben Stunden Sonne pro „Tschuri“-Tag. Das war wichtig, denn so konnten sich die Batterien von „Philae“ immer wieder aufladen. Denn der Plan war, dass der Lander über mehrere Wochen kontinuierlich Daten zur Erde funken sollte. Leider gelang das nicht.
Denn „Philae“ landete nicht glatt. Anstatt aufzusetzen und sich mit Hilfe eingebauter Druckluftharpunen und Eisschrauben zu verankern, prallte die waschmaschinengroße und etwa 100 Kilogramm schwere Sonde zwei Mal ab und kam erst beim dritten Kontakt sicher zum Stehen – oder vielmehr zum Hängen. Denn wie spätere Aufnahmen von „Rosetta“ zeigen sollten, brach sich der Lander ein Bein ab und liegt nun in einer Art Schlucht auf der Seite. In dieser Position bekam er kaum Sonnenlicht, was die sinnvolle Betriebsdauer erheblich verkürzte.
Es gelang dem Team in Köln zwar, den Lander in eine etwas günstigere Position zu drehen. Trotzdem bekam die Einheit nur für etwa eineinhalb Stunden Sonne, was für eine Betriebsdauer von etwa 60 Stunden reichte.
Die holperige Landung zeigt deutlich, welche Grenzen der Steuerung von der Erde bei diesen Entfernungen gesetzt sind.
Für die rund 500 Millionen Kilometer bis zur damaligen Position des Kometen brauchen Funksignale etwa eine halbe Stunde. Eine quasi mit dem Joystick kontrollierte Landung ist unmöglich.
Also schickten die Techniker nur Signale, die einprogrammierte Sequenzen abriefen. Auf plötzliche Schwierigkeiten konnten sie nicht reagieren. Außerdem war nicht aufgefallen, dass das Harpunensystem von „Philae“ nach zehn Jahren im Weltall nicht mehr funktionierte.
In den 60 Stunden, in denen „Philae“ arbeitete, war trotzdem einiges möglich. Der Lander funkte spektakuläre Bilder von der Kometenoberfläche zur Erde, sammelte Bodenproben und bohrte 67P an. Allerdings musste der Bohrer vor einer massiven, 180 Grad unter Null kalten Eisschicht kapitulieren. Nachdem die Batterien leer waren, schaltete der Lander in Winterschlafmodus, bis die Solarmodule für neue Ladung gesorgt hatten. Allerdings bekam das Bodenteam später nur noch selten Kontakt, und der Lander schien auch nicht mehr richtig zu funktionieren. Den letzten Funkkontakt mit „Philae“ hatte das Kontrollzentrum am 9. Juli. Am 2. September fotografierte „Rosetta“ den Lander in seiner misslichen Lage.
Komet 67P erreichte im August 2016 den sonnennächsten Punkt seiner Bahn und flog dann wieder in die entfernten Regionen des Sonnensystems hinaus. „Rosetta“ kreiste bis zum Ende der Mission um den Schweifstern und lieferte weiterhin zahlreiche Daten.
Was bringt die „Rosetta“-Mission?
Kometen wurden früher oft als „dreckige Schneebälle“ bezeichnet. Der Grund: Sie bestehen überwiegend aus lockerem Gestein, Eis und Staub. Dank der „Rosetta“-Mission hat die Wissenschaft nun ein genaueres Bild von ihrer Zusammensetzung und ihrem Aufbau.
So legen die Ergebnisse nahe, dass Kometen stark poröse Körper sind. Sie bestehen aus harten Schichten an der Oberfläche, während sich im Inneren zahlreiche große und kleine Hohlräume befinden. Komet „Tschurjnow-Gerasimenko“ hat eine mittlere Dichte von 0,5 Gramm pro Kubikzentimeter. Das ist die Hälfte der Dichte von Wassereis. Das in der Gas- und Staubwolke um den Kometen gemessene Verhältnis von Staub zu Eis liegt zwischen 6:1 und 2:1. Wenn das auch für den Kometen selbst gilt, dann ergibt sich laut DLR eine mittlere Porosität von 70 Prozent und mehr. Der Kern des Kometen ist also von überwiegend recht kleinen Hohlräumen durchsetzt. Man muss an ein Stück Tuffstein denken. Allerdings konnte der Lander „Philae“ wegen seiner ungünstigen Lage den Kometen nicht komplett mit Radar durchleuchten. Nur von der porösen, einige hundert Meter dicken Oberflächenschicht bekamen die Forscher ein klareres Bild.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das Wasser auf dem Kometen eine andere chemische Signatur hat als auf der Erde. Auf 67P ist der Anteil des Isotops Deuterium viel höher. Deuterium hat ein Wasserstoff-Molekül mehr als Wasser. Das Wasser auf der Erde kam wohl überwiegend nicht durch Kometeneinschläge, sondern war bereits bei der eigentlichen Planetenbildung vorhanden. Eine andere Quelle sind Asteroiden, von denen viele ebenfalls Wasser enthalten.
Die Koma des Kometen enthielt überraschend viel molekularen Sauerstoff, der wohl aus der Frühzeit des Sonnensystems stammt. Auch Stickstoff ist vorhanden. Im Kometenmaterial selbst fanden sich zahlreiche Bausteine des Lebens, etwa die Aminosäure Glycin. Durch die „Rosetta“-Mission hat sich die Zahl der auf Kometen nachgewiesenen Stoffe mehr als verdoppelt.
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