Messerschmitt Me 262: Erstflug der Schwalbe vor 75 Jahren

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Die Messerschmitt Me 262 ist eine dieser Konstruktionen in der Luftfahrt, deren Potential sich nie völlig entfalten konnte. Das Flugzeug war der erste in Serie produzierte und eingesetzte Düsenjäger der Welt. Der Prototyp mit den Serientriebwerken flog erstmals am 18. Juli 1942. Allerdings verhinderten das politische und organisatorische Chaos des NS-Regimes und der verlorengehende 2. Weltkrieg, dass die Me 262 mehr wurde als eine ausführliche und interessante Fußnote.

Die Anfänge der Me 262

In den 1930er Jahren arbeiteten in verschiedenen Ländern Konstrukteure an Düsentriebwerken; in Deutschland waren das Dr. Hans-Joachim Pabst von Ohain und seine Mitarbeiter. Weil Pabst von Ohain für Ernst Heinkel und seine gleichnamigen Flugzeugwerke arbeitete, lag Heinkel beim Rennen um das erste gebaute Düsenflugzeug vorne. Ohain hatte im September 1937 sein erstes, noch mit Wasserstoff betriebenes Düsentriebwerk präsentiert. Daraufhin beauftragte das Reichsluftfahrtministerium (RLM) nicht nur Heinkel, sondern auch auch andere Flugzeug- und Triebwerkshersteller mit Arbeiten an Düsen-Kampfflugzeugen und den dazugehörigen Triebwerken.

Messerschmitt und Heinkel legten dem RLM im Juni 1939 ihre Entwürfe vor. Der Messerschmitt-Entwurf sah ein zweistrahliges Flugzeug mit Heckrad und leicht gepfeilten Flügeln vor. Heinkel präsentierte ebenfalls einen zweistrahligen Jet, der allerdings bereits ein Bugrad sowie eine Druckkabine und einen druckluftbetriebenen Schleudersitz vorwies. Das RLM ließ beide Firmen weiterarbeiten. Allerdings behielt Heinkel weiter die Nase vorn. Am 1. September 1939 startete zunächst die Heinkel He 178, das erste Düsenflugzeug der Welt, zum Jungfernflug. Als nächstes brachte Heinkel den ersten Düsenjäger der Welt, die Heinkel He 280, in die Luft. Nachdem die He 280 bereits vorher als Segler getestet worden war, flog sie am 30. März 1941 erstmals mit Triebwerken. Um diese Zeit konnte Messerschmitt die Me 262 V-1 nur mit einem Junkers-Kolbenmotor im Bug in die Luft bringen, weil die von Junkers gelieferten Jettriebwerke noch nicht fertig waren.

Das verzögerte den Erstflug der rein strahlgetriebenen Me 262. Zudem zeigte sich, dass sie ohne Bugrad nur schwer zum Fliegen zu bringen war. Die Testpiloten mussten beim Start kurz bremsen, damit sich das Heck vom Boden hob und die Ruderwirkung des Leitwerks einsetzte. Das gelang nicht immer und führte zu mehreren Unfällen. Bis die Me 262 mit Bugrad versehen war, verging weitere Zeit.

Außerdem gerieten die Me 262 und die He 280 in die Fraktionskämpfe und politischen Querelen der NS-Führung. Zu der Zeit, als die He 280 erfolgreich flog, fühlte sich das III. Reich so sicher, dass die meisten Rüstungsprogramme vernachlässigt wurden. Das RLM war zunächst unentschlossen, weil beide Entwürfe ihre Vorteile hatten. Jedoch war Ernst Messerschmitt als Konstrukteur des Standardjägers Bf 109 besser gelitten als Ernst Heinkel, dessen problemgeplagter Bomber He 177 nicht einsatzreif werden wollte. Außerdem hatte der gescheiterte und durch Selbstmord geendete Generalluftzeugmeister Ernst Udet die He 280 gefördert. Am Ende bevorzugte das RLM die stärker bewaffnete Me 262.

Video: Flying the Me 262

Hitler hält die Me 262 auf

Hitler selbst sorgte für weitere Probleme. Als ihm am 26. November 1943 die endlich mit Bugrad ausgerüstete Me 262 V5 vorgeführt wurde, fragte er Willy Messerschmitt, ob dieses Flugzeug auch als Bomber eingesetzt werden konnte. Messerschmitt bejahte und meinte, belastungsmäßig sei sogar eine 1000 kg-Bombe zu verkraften. Daraufhin befahl Hitler, die 262 nur noch als Bomber zu bauen, was die Luftwaffe aber zunächst ignorierte.

Hitler setzte sich natürlich am Ende durch. Er wollte die Me 262 als „Blitzbomber“ zur Abwehr der alliierten Invasion im Westen einsetzen. Also wurde das Flugzeug nun zum Tragen von zwei 250 kg- oder sogar 500 kg-Bomben unter dem Rumpfbug umkonstruiert – obwohl ein reiner Düsenbomber, die Arado Ar 234, längst in Entwicklung war und am 15.Juni 1943 auch erstmals geflogen war.

Chronische Problemquelle – das Jumo 004-Triebwerk der Me 262

Zudem machte die Triebwerksentwicklung weiter Probleme. Das Junkers Jumo 004-Düsentriebwerk war nicht betriebssicher. Es neigte zu Ausfällen, Bränden, war wartungsintensiv und hatte keine lange Lebensdauer. Für den schnellen Leistungswechsel im Luftkampf war das Triebwerk nicht geeignet.

Probleme mit der Schwingungsdämpfung verzögerten die Entwicklung immer wieder. Hinzu kam, dass das Jumo 004 wegen der angespannten Versorgungslage aus nicht-kritischen Rohstoffen hergestellt werden musste. Gerade Chrom und Nickel waren knapp und sollten nach Möglichkeit nicht verwendet werden. Spezialstähle und andere hitzebeständige Metalllegierungen, wie sie in der britischen und amerikanischen Triebwerksentwicklung zur Verfügung standen, konnte die Luftfahrtindustrie des Dritten Reiches nicht nutzen. Von der ersten Version Jumo 004 A zum verbesserten Jumo 004 B waren umfangreiche Veränderungen nötig.

Eine davon wird bis heute in der Luftfahrt verwendet. Es sind hohle Turbinenschaufeln. Die sind zu Kühlungszwecken mit feinen Luftkanälen durchzogen, in denen Luft aus dem Verdichter zirkuliert. So wird verhindert, dass sich die Schaufeln durch vom Luftstrom ausgelöste Reibungshitze zu sehr aufheizen und sich verformen. Damals revolutionär, sind die Hohlschaufeln heute Standard. Vom Jumo 004 wurde sogar noch eine Version mit Nachbrenner projektiert. Das Triebwerk wurde auch im Düsenbomber Arado 234 eingebaut. Nach dem Krieg baute es die sowjetische Luftfahrtindustrie in Großserie nach. Es trieb die erste Generation sowjetischer Kampfjets an.

 

Aufnahme einer Avia-92, des tschechoslowakischen Nachbaus der Me 262, im Luftfahrtmuseum in Prag. (#1)

Aufnahme einer Avia-92, des tschechoslowakischen Nachbaus der Me 262, im Luftfahrtmuseum in Prag. (#1)

Verzweiflungseinsätze mit der Me 262 in den letzten Kriegsmonaten

Die ersten Erprobungskommandos flogen trotz aller Probleme im April 1944 ihre ersten Einsätze. Das Erprobungskommando 262 bestand aus zwei Staffeln Düsenjäger und war überwiegend in Süddeutschland im Einsatz. Im September 1944 wurde es aufgelöst; die Truppenteile gingen im Kommando Nowotny unter dem Befehl des Jagdfliegers Walter Nowotny und im Ergänzungsjagdgeschwader 2 auf. Das EJG 2 sollte bis Kriegsende Piloten auf der Me 262 ausbilden.

Obwohl gerade das Kommando Nowotny wegen seiner Stationierung direkt in den Einflugschneisen der alliierten Bomberverbände hohe Verluste hatte, zeigte die Me 262 schnell ihren Wert als Jagdflugzeug.

Die Jagdbombervariante erwies sich dagegen als wenig beeindruckend, weil sie durch die Bombenlast ihren Geschwindigkeitsvorteil verlor. Außerdem fehlte ein Bombenzielgerät, mit dem Ziele effektiv bekämpft werden konnten. Der einzige Me 262-Verband, der während der Abwehrkämpfe gegen die alliierte Landung in der Normandie im Juni 1944 Kampfeinsätze flog, war aufgrund von Hitlers genialem Befehl denn auch ein Bomberverband – die auch „Kommando Schenck“ genannte III. Gruppe des Kampfgeschwaders 51. Kommandeur war Hauptmann Wolfgang Schenck.

Kurz vor Kriegsende erhielten einige Me 262 noch Startschienen für R4M-Raketen; hier zu sehen an der Me 262 im Technikmuseum Speyer. (#2)

Kurz vor Kriegsende erhielten einige Me 262 noch Startschienen für R4M-Raketen; hier zu sehen an der Me 262 im Technikmuseum Speyer. (#2)

Die Me 262 war als Bomber ein Fehlschlag

Die Düsen-Jagdbomber sorgten zwar bei den Alliierten für einige Überraschung, konnten aber deren Vormarsch nicht aufhalten und auch das Anlanden von Nachschub in den Landeköpfen an der Normandieküste nicht stören. Der Verband erlitt hohe Verluste, weil die alliierte Luftwaffe schnell herausfand, wie verwundbar die Me 262 bei Start und Landung war. In sechs Wochen Einsatz verlor das „Kommando Schenck“ 171 Piloten. Die Flieger tauften ihren Verband mit grimmigem Humor „Flurschadengeschwader“, weil sie ohne Zielgerät kaum Chancen hatten, ein Ziel zu treffen, das kleiner war als ein größeres Dorf. Im August 1944 verlegte der Verband zurück nach Deutschland.

Achtungserfolge als Jagdflugzeug

Dagegen war die Jägerversion als Abfangjäger recht effektiv, während sie den engen Luftkampf bedingt durch die Triebwerksprobleme meiden musste. Trotzdem wurden zunächst Bomberverbände mit der Me 262 ausgerüstet. Ab August 1944 folgten dann auch Jagdverbände, darunter das Jagdgeschwader 7 als erstes Düsenjägergeschwader überhaupt.

Die Luftwaffen-Führung blieb jedoch dabei, vorrangig Bomberverbände auf den neuen Jäger umzurüsten. Man meinte, Bomberpiloten seien wegen ihrer gründlicheren Navigationsausbildung und ihrer Erfahrung mit mehrmotorigen Kampfflugzeugen besser für den neuen Jäger geeignet. Im Kampfeinsatz zeigte sich dann allzu oft, dass das ein Irrtum war.

Allerdings war die Bomberwaffe durch den Kriegsverlauf mehr und mehr gehandicapt. Für die Einsatzverbände und für die aufwändige Ausbildung fehlte der Treibstoff. Die Jagdwaffe war kaum noch in der Lage, die Bomber gegen feindliche Jäger zu schützen. Auch veralteten die Flugzeugtypen immer mehr. Deutschland hatte es nicht geschafft, eine Nachfolgegeneration für die bei Kriegsbeginn eingesetzten Typen zu entwickeln und in die Einsatzverbände zu bringen. Aus den schnellen, modernen Bombern von 1940/41 waren die lahmen Enten von 1944/45 geworden. Da lag es nahe, den Pool an erfahrenen Piloten zu Jagdfliegern umzuschulen.

Ende 1944 wurde eine Nachtjagdstaffel aufgestellt. Die ersten Nachtjagdeinsätze flog Leutnant Kurt Welter mit einem Einsitzer, der im Bug mit einem FuG 220-Radargerät ausgerüstet war. Dann folgte eine kleine Serie von Me 262-Zweisitzern, die man aus Trainern durch Einbau von Radargeräten und der zugehörigen Ausrüstung zu Nachtjägern umgerüstet hatte. Die Staffel startete zum Schluss von einem Teilstück der Autobahn Hamburg-Lübeck in der Nähe von Reinfeld. Die Einheit erzielte beachtliche Erfolge und konnte als einzige die hochfliegenden und schnellen „Mosquitos“ der Royal Air Force abfangen, die nachts weitgehend ungehindert Aufklärung und Störangriffe über Deutschland flogen.

Video: Luftwaffe training film – Flying the Me 262 jet

Die Staffel der Verfemten: Jagdverband 44

Unter den Einsatzverbänden dieser letzten Kriegsphase ragt der so genannte Jagdverband 44 heraus, eine Einheit in Staffelstärke, die vom Fliegerass Adolf Galland kommandiert wurde. Herausragend ist jedoch nur die Prominenz der Angehörigen. Adolf Galland war eigentlich Generalleutnant und damit als Staffelkapitän stark überqualifiziert. Aber er hatte sich, wie zahlreiche andere Fliegerasse auch, mit Göring und Hitler wegen deren Entscheidung für den Einsatz der Me 262 als Bomber überworfen.

Der JV 44 wurde im Februar 1945 in Brandenburg-Briest aufgestellt, verlegte dann aber nach München-Riem, wo er bis kurz vor Kriegsende blieb. Auch Johannes Steinhoff gehörte dem JV 44 an. Steinhoff sollte später die Bundesluftwaffe mit aufbauen und es in der Bundeswehr bis zum Inspekteur der Luftwaffe und in hohe NATO-Positionen bringen. Irgendeine nachhaltige Wirkung auf den Kriegsverlauf hatte diese Elitestaffel nicht. Eine ganze Reihe von Fliegerassen wurde noch kurz vor Kriegsende getötet. Galland und Steinhoff erlebten das Kriegsende im Lazarett.

Das Ende: Chaos, Treibstoffmangel, Flucht

In der letzten Kriegsphase geriet das organisatorische Gefüge des 3. Reiches immer mehr aus den Fugen. Das führte dazu, dass viele Me 262 an Erprobungskommandos und hastig aufgestellte Industrieschutzstaffeln gingen, nicht aber an echte Einsatzverbände. Die Versorgung mit Treibstoff, Ersatzteilen und Munition brach mehr und mehr zusammen. Die Alliierten konnten durch ihren Vormarsch an die deutschen Grenzen und ins Reich hinein ungehindert ihre Kampfflugzeuge in den schrumpfenden deutschen Luftraum schicken. Über den Einsatzplätzen der Me 262 kreisten also ständig Jägerpatrouillen, die jedes startende und landende Flugzeug angriffen.

Diese Me 262 steht heute im Deutschen Museum in München. Mit ihr hatte sich der deutsche Pilot Hans Mutke im April 1945 kurz vor Kriegsende nach Dübendorf in die Schweiz verflogen. (#3)

Diese Me 262 steht heute im Deutschen Museum in München. Mit ihr hatte sich der deutsche Pilot Hans Mutke im April 1945 kurz vor Kriegsende nach Dübendorf in die Schweiz verflogen. (#3)

Die militärische Führung tarnte ihre Ratlosigkeit durch Aktivismus und ordnete in immer kürzeren Abständen Verlegungen an. Die waren zwar auch dem alliierten Vormarsch geschuldet, sorgten aber eher für Chaos, als dass sie die operative Wirksamkeit der Verbände verbesserten.

Außerdem brach über die Kontrolle über die angeblichen Wunderflugzeuge ein sinnloses bürokratisches Gezerre aus. Jede Truppengattung wollte unbedingt eigene Düsenflugzeuge. Hektisch wurden weitere Versionen konzipiert, so mit zusätzlichen Raketentriebwerken, als Nahaufklärer und als Bomberzerstörer mit einer 5 cm-Kanone im Rumpfbug. Nur die Aufklärer kamen noch zum Einsatz. Einige Jäger wurden in den letzten Kriegsmonaten noch mit Abschussvorrichtungen für ungelenkte R4M-Raketen ausgerüstet. Von den 1433 gebauten Maschine erreichte etwa die Hälfte die Truppe. Die Luftwaffe verfügte nie über mehr als 100 einsatzbereite Maschinen, die meist zu zweit oder in Schwärmen zu vier Maschinen operierten.

Epilog

Nach dem Krieg produzierte die tschechoslowakische Luftfahrtindustrie eine kleine Serie von Me 262 als Avia CS-92. Diese Flugzeuge blieben bis 1951 im Einsatz und wurden dann durch moderne sowjetische Typen ersetzt.

Erbeutete Me 262 wurden in Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und den USA ausgiebig getestet. Speziell die amerikanischen Testpiloten und Ingenieure waren von dem Flugzeug beeindruckt, zumal die Me 262 in vieler Hinsicht den US-amerikanischen Düsenjägern der ersten Generation überlegen war. Ein konstruktives Detail, die automatisch ausfahrenden Vorflügel, wurde für die F-86 „Sabre“ übernommen.

Inzwischen fliegen sogar wieder einige Me 262. Die Nachbauten produzierte das in Everett im US-Bundesstaat Washington ansässige „Me 262 Project“. Begonnen hatte die Initiative mit der Restaurierung eines Me 262 B-Zweisitzers, der lange Zeit auf dem Marinestützpunkt Willow Grove vor sich hin gerostet hatte. Darauf aufbauend, legte das Unternehmen eine Kleinserie von Nachbauten auf. Die erste Maschine, ein Einsitzer, flog 2002 zum ersten Mal, machte allerdings bei einem der folgenden Testflüge Bruch. Erst 2004 konnte die Erprobung wieder auf genommen werden.

Insgesamt wurden fünf Maschinen produziert, darunter ein Zweisitzer, der heute in den USA fliegt. Die zweite produzierte Maschine ging 2006 an die Messerschmitt-Stiftung in Manching. Sie ist bis heute gern gesehener Gast auf Flugtagen.


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Über den Autor

Mein Beruf ist das Schreiben; ich arbeite als freier Journalist, Texter und Buchautor. Das reicht für Leben und Modellbau, also auch für das eigentliche Leben. Beruflich wie als Modellbauer interessiert mich die Luftfahrt, speziell die der großen Luftfahrtländer. Ich baue auch gerne mal etwas, das aus dem Rahmen fällt. Hauptantriebskräfte: Neugier, Kaffee und ein guter Witz.

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