Eigentlich ist die Dornier Do 19 eher eine Fußnote der Luftfahrtgeschichte. Ihr Erstflug liegt rund achtzig Jahre zurück. An ihr, dem Konkurrenzmodell Junkers Ju 89 und anderen deutschen Projekten für schwere Kampfflugzeuge lässt sich gut das Versagen der Luftwaffenführung des 3. Reiches in einem wichtigen Feld der Luftrüstung zeigen.
Die Do 19 war Dorniers Beitrag zur Entwicklung des so genannten Ural-Bombers. Der beruhte auf einer Anforderung des Reichsluftfahrtministeriums von 1933 nach einem strategischen Langstreckenbomber, der auch Ziele hinter dem Ural-Gebirge erreichen sollte. Der Ural trennt den europäischen Teil Russlands vom asiatischen Teil. Neben Dornier beteiligten sich auch Junkers und die Bayerischen Flugzeugwerke, also die spätere Firma Messerschmitt, an der Ausschreibung. Letztere stellte jedoch nicht einmal eine Attrappe vor.
Der Wettbewerb um den „Ural“-Bomber
Dornier präsentierte 1934 eine Attrappe und bekam daraufhin den Auftrag zum Bau von drei Versuchsmustern. Der erste Prototyp der Dornier Do 19 startete vor rund achtzig Jahren, am 28. Oktober 1936, zum Erstflug.
Dornier lieferte ein schlankes, viermotoriges Flugzeug ab, das eine Spannweite von 35 Metern hatte und vollgetankt etwas über 18 Tonnen wog. Den Antrieb lieferten vier Bramo H2-H2–Sternmotoren mit je 715 PS oder 526 kW. Es hätte eine Bombenlast von 1,6 Tonnen befördern können.
Junkers Konkurrenzmuster, die Junkers Ju 89, flog erstmals am 11. April 1937. Der zweite Prototyp folgte wenig später. Im Juni 1938 erflog die Besatzung Karl-Heinz Kindermann, Rupprecht Wendel und Werner Hotopf mit dieser Maschine zwei Höhenweltrekorde. Sie erreichte 9312 Meter mit 5000 kg und 7242 Meter mit 10000 kg Nutzlast. Junkers schrieb sie allerdings der Junkers Ju 90 zu, einem aus der Ju 89 abgeleiteten Passagierflugzeug.
Ernst Zindel, der Chefkonstrukteur von Junkers, hatte ein beeindruckendes Flugzeug mit neun Mann Besatzung und einer Bombenlast von 1,6 Tonnen entwickelt. Die V-1 hatte vier Daimler Benz DB 600–Reihenmotoren, die V-2 vier Junkers Jumo 211-A. Die Ju 89 erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 390 km/h und flog 2000 Kilometer weit. Als Bewaffnung waren zwei 20 mm-Kanonen und mehrere 7,9 mm-MG 15 vorgesehen. Die Ju 89 galt damals als die überlegene Konstruktion.
Allerdings änderten sich noch während des Baus der ersten Versuchsmaschinen die Prioritäten bei der Luftwaffe. Die Verantwortlichen hatten erkannt, dass die Leistungsvorgaben für den Uralbomber zu niedrig angesetzt worden waren. Aber anstatt nun die Entwicklung der Do 19 und des Konkurrenzmusters Junkers Ju 89 weiter voranzutreiben, gab der damalige Generalstabschef der Luftwaffe, Generalleutnant Walther Wever, eine neue Anforderung heraus – nach dem Bomber A, aus dem dann die Heinkel He 177 werden sollte. Damit waren dann die beiden in der Entwicklung befindlichen Flugzeuge praktisch Makulatur.
Die Heinkel He 177 hat ihren Auftritt
Die Heinkel He 177 war zwar auf dem Papier wesentlich leistungsfähiger, aber auch technisch weitaus anspruchsvoller. Das RLM zog die Anforderung nach dem Ural-Bomber im schon August 1936 zurück. Oft wird der Unfalltod Walther Wevers, der Anfang Juni 1936 bei einem Flugzeugabsturz getötet wurde, für diesen Richtungswechsel verantwortlich gemacht. Während Wever den strategischen Luftkrieg befürwortet hatte, war sein Nachfolger Albert Kesselring ein Anhänger einer taktisch, also zur Heeresunterstützung ausgerichteten Luftwaffe. Trotzdem ließ er das Bomber A-Programm fortsetzen.
Der neue Bomber sollte nicht nur sturzkampftauglich sein. Er hatte zwar vier Motoren, von denen aber je zwei miteinander gekoppelt waren und auf eine Luftschraube wirkten. Außerdem sollte die Triebwerkshitze durch die so genannte Oberflächenkühlung abgeleitet werden. Dabei wurde die Kühlflüssigkeit in Wärmetauschelemente auf Flügeln und Rumpf geleitet, nicht durch konventionelle Kühler. Heinkel hatte diese Technologie bereits in kleineren Flugzeugen erfolgreich getestet.
Dagegen sahen die Do 19 und die Ju 89 natürlich aus wie graue Mäuse. Und für den schnellen Aufbau der Luftwaffe setzte die Führung um Luftwaffenchef Hermann Göring auf die mittleren Bomber, die schneller in großer Zahl produziert werden konnten.
Von den bestellten Do 19-Prototypen kam nur die V-1 tatsächlich zum Fliegen. Sie wurde rund drei Monate von der Luftwaffe erprobt und dann an Dornier zurückgegeben. Bei Kriegsbeginn flog sie für kurze Zeit als Truppentransporter. Die beiden Ju 89-Versuchmuster flogen während der Besetzung des Sudetenlands 1938 als Transporter, danach wurden sie abgestellt. Junkers nutzte bereits für die Ju 89 V-3 produzierte Komponenten, um die Ju 90 V-1 zu bauen, ein viermotoriges Passagierflugzeug für 40 Passagiere.
Auch Dornier versuchte, seine Konstruktion als Passagierflugzeug an die Lufthansa zu verkaufen. Aber dieses Rennen hatte Junkers mit der aus der Ju 89 abgeleiteten Junkers Ju 90 schon im Vorwege für sich entschieden, denn die Ju 89 war von vornherein mit Blick auf eine Passagierversion konstruiert wurden. Außerdem hatte die Lufthansa bereits ein anderes viermotoriges Verkehrsflugzeug bestellt – die bei Focke-Wulf entwickelte Focke-Wulf 200 für 26 Fluggäste. Da bestand an einem dritten Flugzeugmuster kein Bedarf.
Junkers baute nun eine kleine Serie von Ju 90, aus denen bei Kriegsbeginn 1939 militärische Transporter wurden. Ironischerweise versuchte die Luftwaffe einige Jahre später, aus der Weiterentwicklung Ju 290 wieder einen schweren Bomber zu machen. Was aus dem Uralbomber hätte werden können, lässt sich an den zeitgenössischen britischen und US-amerikanischen Bomberentwicklungen erkennen. Bomber wie die B-17 oder die britischen Halifax– und Stirling-Bomber machten ihre Erstflüge um dieselbe Zeit wie die deutschen Prototypen. Sie hatten auch in etwa ähnliche Flugleistungen, wurden aber konsequent weiterentwickelt.
Zu viele Projekte, zu wenig Ergebnisse und die Notlösung Focke-Wulf 200
Dagegen schielten die Verantwortlichen in Deutschland immer nach der nächsten und besseren Lösung, während konkrete Projekte vernachlässigt wurden. Der Uralbomber wurde zugunsten des angeblichen Superflugzeugs Heinkel He 177 eingestellt. Aber als die eigentlich irreale Forderung nach Sturzfähigkeit und die technisch komplexe Oberflächenkühlung Probleme machten, ging man nicht etwa den einfacheren Weg und baute eine konventionelle He 177 mit vier Einzelmotoren. Stattdessen ließ man die Industrie wiederum noch bessere Flugzeuge konstruieren.
Außerdem durfte Junkers versuchen, aus dem Transporter Ju 290 einen Bomber zu machen, Messerschmitt an der viermotorigen Me 264 arbeiten. Heinkel dagegen wurde verboten, eine konventionelle He 177 gegenüber der Luftwaffenführung auch nur zu erwähnen und zweigte heimlich zwei Maschinen aus der Serie ab, um sie mit Einzelmotoren zu erproben. Am Ende führten diese Projekte nur zu einer Serie von 52 Ju 290-Fernaufklärern, zu zwei Prototypen der Me 264 und zwei He 177 mit Einzelmotoren.
Focke-Wulf versorgte das Reichsluftfahrtministerium mit einer Fülle vielversprechender Projekte, darunter die sechsmotorige Focke-Wulf Ta 400. Ein Prototyp wurde nie gebaut. Selbst Blohm & Von, traditionell auf Flugboote spezialisiert, spielte beim großen Bomberspiel mit und brachte seine sechsmotorige Blohm & Voss BV 222, aber auch deren Nachfolger BV 238, als Landflugzeuge ins Spiel. Junkers schob 1943 noch die sechsmotorige Ju 390 nach, eine hochskalierte Ju 290, von der immerhin noch zwei Maschinen gebaut wurden.
Hinter dieser Modellvielfalt steckte ein permanentes Gezerre und Geschiebe zwischen den verschiedenen Machtinstanzen im Dritten Reich, von denen Luftwaffenchef Hermann Göring die schwächste war. Hitler wollte einen Amerikabomber, also idealerweise die Me 264. Die Marineführung verfocht ihr Interesse an einem weitreichenden Marinekampfflugzeug. Das Technische Amt der Luftwaffe forderte immer neue Änderungen und vernachlässigte laufende Vorhaben, sobald sich Probleme zeigten und ein anderes wesentlich bessere Leistungen zu bieten schien.
Die Industrie nutzte diesen permanenten Konflikt geschickt, um die eigenen Produkte zu verkaufen. So konnten traditionelle Jagdflugzeugbauer wie Messerschmitt und Focke-Wulf auch im Großflugzeugbau mitbieten. Dabei hatte beispielsweise Messerschmitt zeitweise große Schwierigkeiten, auch nur den Bedarf der Luftwaffe an Jagdflugzeugen zu decken. Für ein Bomberprogramm waren eigentlich gar keine Kapazitäten vorhanden.
Damit sie überhaupt Langstreckenflugzeuge einsetzen konnte, behalf sich die Luftwaffe mit der zum Kampfflugzeug umkonstruierten Focke Wulf 200. Diese Flugzeuge flogen mit guten Erfolg als Fernaufklärer und Marinekampfflugzeuge, primär über dem Nordatlantik zur Unterstützung des U-Bootkrieges. Zwischen 1940 und 1944 wurden 276 Flugzeuge gebaut, was jedoch nur zur Ausrüstung von einer Gruppe eines einzigen Geschwaders, des auf den Seekrieg spezialisierten KG 40, reichte. Dem Kampfgeschwader KG 40 standen nie mehr als zwanzig Maschinen gleichzeitig zur Verfügung. Die Verluste waren recht hoch, weil das Flugzeug wegen seiner extremen Leichtbauweise nur bedingt für den Kampfeinsatz geeignet war.
Die He 177 kommt an die Front
Die zahlreichen Kinderkrankheiten der He 177 waren erst Mitte 1943 einigermaßen überwunden. Die ersten Serienmaschinen waren bereits Anfang des Jahres als Transporter zur Versorgung der in Stalingrad eingeschlossenen deutschen Truppen eingesetzt worden – allerdings mit untragbar hohen Verlusten. Das Flugzeug selbst wurde von seinen Besatzungen überwiegend positiv beurteilt. Neben dem KG 40 erhielten noch drei weitere Geschwader den schweren Bomber. Beim KG 40 dienten sie als Lenkwaffenträger im Seekrieg, außerdem flogen sie Nachtangriffe auf Großbritannien, gegen alliierte Truppen in Italien und operierten sowohl über der Ostfront als auch über dem sowjetischen Kernland. Durch seine hohe Geschwindigkeit, gute Höhenleistung und starke Abwehrbewaffnung war das Flugzeug vor feindlichen Jägern recht sicher.
Aber nun zeigte sich, dass Deutschlands industrielle Basis zu schmal war. Es fehlte an erfahrenen Fliegern und Technikern, an Ersatzteilen, Austauschmotoren, an ausreichend Treibstoff für den notwendigen Übungsbetrieb und kontinuierliche Einsätze und an geeigneten Flugplätzen. Es fehlten Bodengeräte und Spezialkräne für Motorwechsel oder das zum Reifenwechsel nötige Aufbocken des Flugzeugs. Zudem brauchte die He 177 eine aufwendige Infrastruktur mit großen Hangars, Betonpisten, ausgedehnten Werkstätten für Reparaturen und Wartungsarbeiten und einer komplexen Ersatzteillogistik.
Als von dem hochgezüchteten Bomber genügend Maschinen zur Verfügung standen, war das für das Dritte Reich nur noch unter großen Schwierigkeiten zu leisten. Problematisch war auch der Mangel an erfahrenen Besatzungen. Ab der Kriegsmitte brach das Ausbildungssystem für die Bomberwaffe mehr und mehr zusammen. Die Front, speziell die Ostfront, hatte Vorrang bei der Treibstoffversorgung. Außerdem mussten die Kampffliegerschulen in Krisensituationen immer wieder Personal an die Frontverbände abgeben. Diese erfahrenen Flieger fehlten dann als Lehrer, erst recht dann, wenn sie im Kampf getötet wurden.
Deutsche schwere Bomber – ein ernüchterndes Fazit
Zudem konnte nach Erkenntnissen des britischen Luftfahrthistorikers Alfred Price die deutsche Treibstoffindustrie ab Sommer 1943 nicht mehr genug Flugbenzin liefern, um eine große strategische Bomberoffensive zu unterstützen. Realistisch wäre eine Streitmacht von rund 400 Bombern gewesen, aber deren Einsätze hätten den Kriegsverlauf nicht grundlegend verändert. Und die Bomberproduktion ging im weiteren Kriegsverlauf immer mehr zurück. Etwa ein Drittel der 1137 gebauten Maschinen kamen nie zum Einsatz. Hunderte von He 177 standen unbenutzt auf norwegischen Fliegerhorsten herum. Aus den immer weniger werdenden Condor-Seekampfflugzeugen wurden Transportflugzeuge, weil die alliierte Luftüberlegenheit ihren Einsatz nicht mehr zuließ und die Stützpunkte in Frankreich nach der alliierten Landung in der Normandie im Juni 1944 verloren waren. Viele neue He 177 wurden von den Fabriken direkt zur Verschrottung überführt, die Geschwader aufgelöst. Dieses Schicksal hätten auch mit weiterentwickelten Do 19 oder Ju 89 ausgerüstete Verbände erlitten. Ende 1944 wurden dann alle Bomberentwicklungen sang- und klanglos eingestellt. Viele Bomberpiloten wurden zu Jagdfliegern umgeschult, das Bodenpersonal fand sich oft bei der Infanterie wieder.
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