Gerade auf langen Flügen können sie einen sehr stören – die vielen leisen und nicht ganz so leisen Geräusche in der Kabine. Da ist das leise, aber penetrante Singen der Turbinen. Oder das Brummen der Propeller. Hinzu kommen viele andere Geräusche und Töne, die man nicht zuordnen kann. Umso bemerkenswerter ist daher, wie viel Lärm trotz allem draußen vor der Tür bleibt. Wer in der Nähe eines Flughafens wohnt oder eine Flugschau besucht hat, weiß, wie laut Düsentriebwerke und Propellermotoren sein können. Für Menschen am problematischsten sind dabei die tiefen Töne. Ausgerechnet die können aber am besten in einen Flugzeugrumpf eindringen.
Was kommt nach der passiven Dämmung?
Heutzutage verlässt sich die Luftfahrt überwiegend auf so genannte passive Dämmung. Das sind isolierende Verkleidungen und Dämmstoffe in den Kabinenwänden, die nicht nur den Lärm der Triebwerke, sondern auch die extremen Temperaturen draußen halten. In den gängigen Flughöhen zwischen acht und zehn Kilometern herrschen Temperaturen von minus 55 Grad. Als Dämm-Material dient in der Regel Glaswolle.
Allerdings wird das in naher Zukunft nicht mehr reichen. Gerade moderne Verkehrsflugzeuge müssen von Generation zu Generation leiser und sparsamer werden. Will man aber Sprit sparen, muss das Flugzeug als ganzes leichter werden. Und das geht nur über neue Materialen wie etwa Kohlenfaser-Verbundwerkstoffe (KFK/CFK) oder keramische Werkstoffe. Aus diesen Werkstoffen entstehen schon länger Komponenten wie Leitwerksflossen, Landeklappen, oder sogar ganze Flügel. Die neueste Airliner-Generation besteht nun aber fast vollständig aus Kohlenfaser-Verbundstoffen. So sind in der Boeing 787 „Dreamliner“ nur noch etwa 20 Prozent Aluminium verbaut.
Damit stellt sich das Problem der Lärmdämpfung aber neu. Die traditionelle Bauweise aus Aluminium und anderen Leichtmetallen führt zu einem Flugzeug, das im Vergleich schwerer ist. Aber die höhere Masse lässt die Konstruktion weniger schwingen. Also ist die ganze Konstruktion leiser. Baut man nun leichter, führt das zu Konstruktionen, die stärker schwingen und damit auch besser Schall übertragen.
Gegenläufige Propeller: spritsparend aber lärmig
Hinzu kommt ein neuer Trend in der Triebwerksentwicklung. Forschung und Industrie untersuchen vermehrt Antriebe mit gegenläufigen Propellern. Bei ihnen treibt eine Propellerturbine zwei Propeller an, die hintereinander sitzen, aber gegeneinander drehen.
Ein derartiger Antrieb ist leistungsstärker als ein herkömmliches Propellertriebwerk und außerdem sehr wirtschaftlich. Er verbraucht rund 30 Prozent weniger Kerosin als ein herkömmliches Düsentriebwerk. In Zeiten ehrgeiziger Klimaschutzziele wären gegenläufige Propellerantriebe also fast ideal. Sie könnten an vielen kleinen und mittleren Verkehrsflugzeugen an die Stelle der Düsentriebwerke treten.
Sie haben nur einen Nachteil: Sie sind extrem laut. Und sie erzeugen Lärm in genau den niedrigen Frequenzen, die besonders leicht in Flugzeugkabinen eindringen können. Daher blieben sie bisher auf die Militärluftfahrt beschränkt. Die Sowjetunion baute einen Langstreckenbomber mit diesem Antrieb, die bis heute im Einsatz befindliche Tupolew Tu-95. Hinzu kam der Großraumtransporter Antonow An-22, der nur noch in wenigen Exemplaren bei der russischen Luftwaffe fliegt.
Die Antonow An-70, ein moderner Militärtransporter, ging bisher nicht in Serie. Einzige Ausnahme ist der Airliner Tupolew Tu-114, eine Ableitung aus der Tu-95. Sie flog zwischen 1962 und 1976 im Liniendienst. Ansonsten findet man gegenläufige Propeller an speziellen Renn- und Rekordflugzeugen, bei denen es auf die Leistung und kaum auf dem Lärmschutz ankommt.
Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und an anderen Forschungseinrichtungen suchen nach Lösungen für die leisen Flugzeugkabinen von morgen. Auch große Flugzeughersteller interessieren sich für Lösungen, die über Dämmmaterial hinausgehen. Es gilt, nicht nur den Innovationen im Flugzeugbau Rechnung zu tragen.
Um die Vorteile des gegenläufigen Propellerantriebs zu nutzen, müssen Flugzeugentwickler neue Wege gehen. Denn die sparsamen Flugzeuge dürfen nicht gleichzeitig weniger komfortabel oder schwerer sein.
„Wenn man mehr Dämmung einbringt, macht man den Vorteil des neuen Treibwerks zunichte“, sagt Oliver Unruh vom DLR-Institut für Faserverbund-Leichtbau und Adaptronik in Braunschweig. „Ein Passagier setzt sich nicht in ein neues Flugzeug und akzeptiert, dass es lauter geworden ist“, ergänzt sein Kollege Dr. Malte Misol.
Mehr Gegenschall für weniger Lärm
Unruh und Misol arbeiten deswegen an Lösungen zur so genannten aktiven Schalldämpfung. Dabei erzeugen zum Beispiel Lautsprechersysteme Gegenschall, der das ursprüngliche Geräusch überlagert und somit aufhebt. Das Ergebnis ist Stille.
Genauso lassen sich durch spezielle Aktuatoren oder Schüttler Gegenvibrationen erzeugen. Die DLR-Forscher haben Verkleidungsteile entwickelt, die mit Hilfe von Aktuatoren die schallerzeugenden Vibrationen in Seitenwand- oder Deckenpaneelen weg dämpfen. Das „Smart active Lining Module“ enthält nicht nur Aktuatoren, sondern auch Sensoren und eine Steuerungseinheit, die die Gegenvibration je nach Stärke reguliert. Das DLR hält mittlerweile ein Patent auf dieses Modul und entwickelt es mit Partnern aus der Industrie zur Produktreife. Eines dieser Bauteile ist etwa zwei Sitzreihen lang und reicht vom Kabinenboden bis in die Höhe der Kopfstütze. Die Module werden an Stellen im Flugzeug platziert, an denen häufig Vibrationen und damit störende Streugeräusche entstehen. Für derartige Module gäbe es auch noch mehr Anwendungsmöglichkeiten: „Diese Technik ließe sich auch nutzen, um Lautsprechersysteme zu ersetzen“, erläutert Misol. Das wären dann Schallflächen, wie sie bereits vereinzelt im VIP-Bereich genutzt werden.
Gegenschallsysteme, die Lautsprecher nutzen, fliegen ebenfalls schon in einzelnen Flugzeugtypen. So haben Saab und Bombardier, die Passagierflugzeuge für den Regional- und Mittelstreckenverkehr produzieren, solche Systeme in ihren Flugzeugen installiert. Allerdings wird es auch in Zukunft nicht ohne Dämmstoffe gehen. Das Schallfeld in der Kabine ist dreidimensional und kann durch Gegenschall oder Gegenvibration nicht völlig überlagert werden.
So beschäftigt sich das Forschungsprojekt „COCLEA“ (Comfortable Cabin for Low Emission Aircraft oder Bequeme Kabine für Niedrigemissions-Flugzeuge) mit Lösungen, die besonders den tieffrequenten Propellerlärm abhalten sollen. Dabei arbeiten Flugzeugbauer der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg, von Airbus und anderen Forschungseinrichtungen zusammen.
Eines der an der HAW entstandenen Konzepte sieht einen leichtgewichtigen Schutzschild vor. Er soll außen am Flugzeug neben den Propellern montiert werden. Er könnte einen Großteil des Propellerlärms reflektieren. Ein weiteres Konzept will die Verbindungen zwischen den Rumpfsektionen anders konstruieren. Sie sollen so ausgelegt sein, dass sie weniger Propellerschall als bisher durch den Rumpf weiterleiten.
Welche Lärmschutzkonzepte tatsächlich verfolgt werden, hängt nicht zu letzt vom Triebwerk ab. Ein Düsenflugzeug hat eine andere Kabinenakustik als ein Propellerflugzeug. Auch die Positionierung der Treibwerke spielt eine Rolle. So hängen die Triebwerke bei den meisten Jets unter den Tragflächen. Die schirmen bereits einen Teil des Lärms ab. Sind die Triebwerke jedoch am Heck montiert, braucht das Flugzeug hier besondere Schutzvorrichtungen. Dort aber platzieren viele Studien für Verkehrsflugzeuge mit gegenläufigen Propellern die Triebwerke. Denn hier ist die Lage im Luftstrom ideal und die Bodenfreiheit auf dem Flugfeld am größten.
Ob sich Flugzeuge mit gegenläufigen Propellern durchsetzen werden, hängt davon ab, ob sich das Lärmproblem lösen lässt. Die Arbeit an innovativen Lösungen für leises Fliegen wird auf jeden Fall weitergehen. Denn leisere Flugzeuge sind auch sparsamere und umweltfreundlichere Flugzeuge.
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