Wer den größten Flieger der Welt baut, ist immer wieder ein spannendes Rennen. In den letzten Jahrzehnten hatten große Konzerne wie Boeing und Airbus und der traditionsreiche ehemals sowjetische, jetzt ukrainische Flugzeugbauer Antonow das Feld für sich. Nun gibt es einen neuen Spieler auf dem Feld. Die Stratolaunch Systems Corporation arbeitet seit 2013 an einem riesigen, sechsstrahligen Trägerflugzeug für Raketen, die Satelliten und Raumsonden ins Weltall bringen sollen.
Das größte Flugzeug der Welt
Mit 117 Metern Spannweite ist die „Stratolaunch“ das zur Zeit größte Flugzeug der Welt. Am 31. Mai 2017 wurde es zum ersten Mal aus seiner Montagehalle in der amerikanischen Mojave-Wüste gerollt. Das Flugzeug mit zwei großen, nebeneinander liegenden Rümpfen soll unter seinem Mittelflügel bis zu drei Pegasus-Raketen in eine geeignete Abschussposition fliegen. Es besteht fast vollständig aus modernen Verbundwerkstoffen. Voll beladen wird es rund 540 Tonnen wiegen. Das Leergewicht beträgt rund 230 Tonnen, die Rumpflänge 72,5 Meter, also etwa die eines „Jumbo Jets“. Und es wird eine 3,7 Kilometer lange Startbahn brauchen, um sich in die Luft zu erheben.
Zur Zeit führen „Stratolaunch“-Techniker Betankungs- und Systemtests an dem großen Flugzeug durch. Eine erste kritische Phase hat der fliegende Titan bereits hinter sich. Nach Fertigstellung des Flugzeugs entfernten die Techniker nach und nach die stützende Gerüstkonstruktion, sodass die Maschine zum ersten Mal mit ihrem ganzen Gewicht auf ihren 28 Rädern ruhte. Und tatsächlich sind die Betankungstests eine weitere kritische Station. Denn nun muss sich zeigen, ob die Tanks des „Stratolaunch“-Giganten dicht sind oder ob sich Leckagen zeigen, die Nacharbeiten erforderlich machen. Als nächstes werden Probeläufe der sechs Pratt & Whitney PW4000-Triebwerke stattfinden, danach Rollversuche. Vier dieser Triebwerke treiben eine Boeing 747 an. Der erste Flug ist für 2019 geplant.
Raketen für „Stratolaunch“
Für den Anfang sollen Pegasus XL-Raketen die jeweilige Nutzlast in die Erdumlaufbahn befördern. „Stratolaunch“ kann bis zu drei dieser Feststoffraketen an Bord nehmen, von denen jede bis zu 450 Kilogramm Nutzlast tragen kann. In der Regel sind das kleine Forschungs- oder Kommunikationssatelliten, die in den so genannten niedrigen Erdorbit (LEO oder low earth orbit) in Höhen zwischen 200 und 2000 Kilometern Höhe aufsteigen sollen. Zum Vergleich: Die Internationale Raumstation ISS (International Space Station) kreist in rund 400 Kilometern Höhe um die Erde.
Das „Stratolaunch“-Trägerflugzeug würde mit bis zu drei Raketen starten und sich dann bis zu etwa 1900 Kilometer weit vom Startplatz entfernen. Dabei würde es bis in die Stratosphäre aufsteigen. Weil das Flugzeug seine Raketen von einer Vielzahl von Positionen aus starten kann, ist das Gesamtsystem auch flexibler als ein Trägersystem aus konventionellen Raketen und einer ortsfesten Startrampe. Es erlaubt, so ziemlich jede Bahn im niedrigen Erdorbit zu erreichen. Zudem könnte mit „Stratolaunch“-Flugzeugen jeden Tag Satelliten in den Orbit gebracht werden.
Die „Pegasus“-Rakete ist ein Produkt der US-amerikanischen Orbital Sciences Corporation, die heute als Orbital ATK firmiert. Die erste „Pegasus“ startete am 5. April 1990, damals von einem speziell umgebauten B-52-Bomber. Spätere Starts erfolgten dann von einem Lockheed L-1101 „Tristar“-Airliner mit einer Startvorrichtung unter dem Rumpf. Die „Tristar“ dient bis heute als fliegende Startplattform. Die „Pegasus“ ist eine dreistufige Feststoffrakete; die erste Version wiegt 18, 5 Tonnen, die etwas größere „Pegasus“ XL kommt auf ein Gewicht von 23, 1 Tonnen. Daneben gibt es auch „Pegasus“-Varianten, die konventionell starten. Sie befördern Satelliten ins All und kommen bei Versorgungsflügen zur Internationalen Raumstation ISS zum Einsatz. Allerdings hat es aus wirtschaftlichen Gründen seit 2008 keinen Flugzeugstart einer „Pegasus“-Rakete mehr gegeben.
Scaled Composites liefert das „Stratolaunch“-Design
Das „Stratolaunch“-Flugzeug wurde von Scaled Composites gebaut, einem 1982 vom Flugpionier und Luftfahrtingenieur Burt Rutan gegründeten Unternehmen, dass sich auf innovative Flugzeugentwürfe aus Verbundwerkstoffen spezialisiert hat. Scaled Composites hat seinen Sitz im kalifornischen Mojave, wo auch die „Stratolaunch“ gebaut wurde. Das Unternehmen hat bereits zahlreiche innovative Flugzeuge produziert. Darunter ist der Entwurf für die Beech „Starship“, ein düsengetriebenes Geschäftsreiseflugzeug in Entenkonfiguration, der experimentelle Raumgleiter X-38, und das Rekordflugzeug „Virgin Atlantic GlobalFlyer“, mit dem Steve Fossett im März 2005 einmal um die Welt flog.
Auch Kombinationsflugzeuge sind unter den Entwürfen. Am bekanntesten ist die so genannte „Tier One“, eine Kombination aus dem Raketenflugzeug „SpaceShipOne“ und dem „White Knight“, mit dem die von Richard Branson gegründete Fluggesellschaft „Virgin Galactic“ eines Tages Passagiere auf kurze Flüge in den erdnahen Weltraum mitnehmen will. Mittlerweile hat Scaled Composites auch eine zweite, größere Kombination gebaut. „White Knight Two“ hat nunmehr vier Triebwerke, und „SpaceShipTwo“ ist eine verbesserte Version der durch Absturz verlorengegangenen „SpaceShipOne“. Das Unternehmen kann beim Bau derartiger Flugzeuge also bereits auf einen Bestand an Erfahrungen zurückgreifen.
Das Unternehmen Stratolaunch wurde 2011 vom Microsoft-Mitbegründer Paul Allen ins Leben gerufen. Ähnlich wie andere Unternehmer in den USA will er einen preiswerten Zugang ins Weltall schaffen. Der Wert eines Trägerflugzeugs wie „Stratolaunch“ besteht aus mehreren Elementen. Das Flugzeug selbst ist nicht auf eine spezielle Startposition festgelegt, sondern es kann schlechtem Wetter ausweichen. Es kann auch eine bestimmte, für eine einzige Mission wichtige Startposition ansteuern und dort einen Satelliten auf den Weg bringen. Starts sind nicht auf eine kleine Zahl enger Startfenster beschränkt. Für kleinere Nutzlasten sinkt der Preis, weil herkömmliche Raketen eine enorme Energiemenge dabei verbrauchen, die dichten, unteren Schichten der Erdatmosphäre zu durchfliegen. Obendrein ist fast gesamte Rakete nicht wiederverwendbar.
Dagegen kann ein speziell konstruiertes Flugzeug wie die „Stratolaunch“ in große Höhen aufsteigen und dort die Trägerrakete mit ihrer Nutzlast starten. Ein Fernziel der Verantwortlichen ist der Start von bemannten Flugkörpern, entweder Raumkapseln oder Raumgleitern ähnlich der „SpaceShip Two“/“WhiteKnight“-Kombination von „Virgin Galactic“.
Flugzeuge tragen Flugzeuge: und ein Vorläufer von „Stratolaunch“
Das Konzept von Trägerflugzeugen, die kleinere Flugzeuge befördern oder ausschicken, ist nicht neu. Bereits in den Dreißiger Jahren experimentierten US-amerikanische, britische und sowjetische Konstrukteure mit flugzeugtragenden Flugzeugen. Der amerikanische Weg bestand zunächst in zwei großen Luftschiffen, die Jagdflugzeuge und Aufklärer mitführen konnten. In der Sowjetunion baute Tupolew mehrere Serien mittlerer und schwerer Bomber, die zwischen zwei und fünf Flugzeugen mitführen konnten. Die größeren Maschinen kamen sogar noch bei der Abwehr der deutschen Invasion 1941 zum Einsatz. In Großbritannien baute Shorts die „Empire/Majo“-Kombination. Sie bestand aus einem großen „Empire“-Flugboot und einem kleineren Short „Majo“-Schwimmerflugzeug, das Post über den Atlantik befördern sollte. Während beide amerikanische Luftschiffe noch in den Dreißiger Jahren durch Abstürze verloren gingen, war die „Empire/Majo“-Kombination schon beim Erstflug durch Landflugzeuge überholt.
Nach dem 2. Weltkrieg experimentierte die U. S. Air Force mit dem „FiCON“– oder „Fighter Conveyor“-Programm. Dabei nahmen speziell umgerüstete B-36-Bomber ebenfalls modifizierte F-84-Flugzeuge und genau für diesen Zweck entwickelte Düsenjäger an Bord. Die Flugzeuge sollten entweder als Begleitjäger zum Schutz das Bombers dienen, oder aber Aufklärungsmissionen fliegen und danach zum Mutterflugzeug zurückkehren. Das System wurde allerdings nach einigen Jahren wieder aufgegeben; mittlerweile war die Reichweite auch kleinerer Jets groß genug für Langstreckenflüge. Hinzu kamen Luftbetankungsflugzeuge, die deren Reichweite weiter vergrößern konnten.
Also blieb es bei einigen wenigen Spezialflugzeugen, die Testflugzeuge wie die Bell X-1 oder die North American X-15 tragen konnten. Die wohl extremste Lösung war eine Boeing 747, die einen Space Shuttle huckepack nehmen konnte. Ein derartiges Flugzeug transportierte bis zum Ende des Shuttle-Programms Raumfähren der NASA von einem Stützpunkt zum nächsten.
Während der Entwicklung des Space Shuttles hatte die NASA sogar ein spezialisiertes Trägerflugzeug zum Transport der Raumfähren untersucht. Es hätte der „Stratolaunch“ verblüffend ähnlich gesehen. Die Conroy „Virtus“ sollte aus den Rümpfen zwei B-52-Bomber bestehen, von vier großen Pratt & Whitney TF-9-Turbofans angetrieben werden und einen Space Shuttle unter dem Mittelflügel befördern können. Die Spannweite der Konstruktion hätte 140 Meter betragen; eine „Virtus“ hätte in den 1970ern 12, 5 Millionen US-Dollar gekostet. Die „Virtus“ und einige andere, ähnliche Entwürfe wurden sogar als Windkanalmodelle getestet. Die Versuche ergaben, dass die Entwürfe zu durchaus leistungsfähigen Flugzeugen geführt hätten. Allerdings scheute die NASA die Kosten eines eigenen Entwicklungsprogramms und der für derartige Flugzeuge nötigen Infrastruktur. So machte dann eine umgebaute Boeing 747 das Rennen.
Mit der „Stratolaunch“ sieht es nun so aus, als könnte ein derartiges Flugzeug doch noch fliegen und wirtschaftlich erfolgreich werden.
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