Natürlich sind die Gebrüder Wright untrennbar mit mit dem Motorflug verbunden. Wie viele andere Neuerungen hat auch der Motorflug nicht nur einen Vater, sondern mehrere. Anfang des 20. Jahrhunderts tüftelten sowohl in Europa als auch in den USA viele Luftfahrtpioniere an Flugzeugen mit Motor. Meistens war nicht das Flugzeug das Problem, sondern ein ausreichend starker, kompakter und vor allem betriebssicherer Motor.
Warum die Gebrüder Wright die ersten waren
Das Rennen um den ersten Flug eines Flugzeugs mit Motorkraft haben nach Meinung der meisten Historiker die Gebrüder Wilbur und Orville Wright für sich entschieden. Orville Wright flog am 17. Dezember 1903 als erster mit einem Motorflugzeug – wenn auch nur 37 Meter weit.. Sein Bruder flog gleich darauf mit demselben Flugzeug und konnte die Flugstrecke verlängern. Die Flüge und die Forschungen der Brüder sind gut dokumentiert und belegt, sodass der in die USA ausgewanderte Deutsche Gustav Weißkopf, für dessen Flüge viele Belege fehlen, wohl für immer in ihrem Schatten stehen wird. Weißkopf ist nach eigenen Angaben und denen viele Zeugen bereits 1901 erstmals mit einem Motorflugzeug geflogen. Erschwerend für das Weißkopf-Lager kommt hinzu, dass viele seiner Flugapparate und Motoren tatsächlich Fehlkonstruktionen waren. Andererseits konnte die Flugfähigkeit der Konstruktion, mit der Weißkopf möglicherweise noch vor den Wrights geflogen ist, mittlerweile nachgewiesen werden.
Fast zeitgleich mit den Gebrüdern Wright: Der Däne Jacob Ellehammer war Europas erster Motorflieger
Wesentlich eindeutiger ist die Situation, wenn es um den ersten Motorflug in Europa geht. Hier gibt es einen anerkannten ersten Motorflug, und einen nicht anerkannten Erstflug.
Diesen nicht anerkannten Flug machte der Däne Jacob Christian Ellehammer am 12. September 1906 mit seinem Flugapparat Ellehammer No. 1. Angetrieben wurde das Flugzeug von einem 18 PS starken Motor, den Ellehammer selbst konstruiert hatte.
Ellehammer flog 42 Meter weit und einen knappen Dreiviertel Meter hoch. Allerdings wurde dieser Flug nicht anerkannt, weil ihn die Luftfahrt-Organisation F.A.I. nicht überwacht hatte.
Die „Fédération Aéronautique International“ war bereits 1905 von Fliegern aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, aus anderen europäischen Ländern und aus den USA gegründet worden, allerdings ohne Repräsentanten aus Dänemark.
Das Ziel der noch heute bestehenden F.A.I. ist, fliegerische Leistungen nach objektiven und nachvollziehbaren Kriterien zu messen und zu dokumentieren, also etwa Rekordflüge, Luftrennen und ähnliches.
Santos Dumont fliegt als zweiter, wird aber als erster vermerkt
Leider lebte Ellehammer nicht in der damaligen Fliegereimetropole Paris, sondern auf der kleinen dänischen Insel Lindholm. So erntete der in der Seinemetropole lebende Brasilianer Alberto Santos Dumont, der mit seiner „14bis“ am 23. Oktober 1906 erstmals flog, die Lorbeeren und wurde in der Registratur der F.A.I. vermerkt. Daher ist Ellehammer außerhalb Dänemarks kaum bekannt, obwohl er genauso wie sein brasilianischer Widerpart weiter Flugzeuge und Motoren konstruierte und für die Luftfahrt seines Landes wegweisend war.
Ellehammer war, auch darin Santos Dumont ähnlich, ein für seine Zeit typischer Mechaniker und Tüftler, der auf vielen Gebieten sein Talent bewies. Ellehammer kam aus einem Elternhaus, in dem Erfindungen und Unternehmergeist als vorbildlich galten. Sein Vater hatte den Valse Vig, einen Polder auf der Insel Valster, auf dem die Familie selbst lebte, trocken gelegt. Ellehammer lernte das Uhrmacherhandwerk und arbeitete nach seinem Wehrdienst bei der Marine in verschiedenen technischen Betrieben.
1898 gründete er sein eigenes Unternehmen, in dem er Schreibmaschinen reparierte. Ellehammer brachte sich selbst die Grundlagen der Elektrizität und des Verbrennungsmotors bei. Er ließ sich ein Film-Vorführgerät patentieren und konstruierte nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen ein eigenes Röntgengerät. Seinen Bierschankautomaten konnte er weltweit verkaufen. 1902 begann er mit der Arbeit an einem Motorrad, das von 1904 bis 1914 hergestellt wurde. Er konstruierte außerdem die ersten luftgekühlten Sternmotoren der Welt. Sein zweiter Motor trieb dann die Ellehammer No. 1 an.
Ellehammer baute erfolgreiche Motorflugzeuge
Zwischen 1907 und 1916 baute der Däne weitere Flugapparate und machte 1912 einen kurzen Luftsprung mit einem selbst konstruierten Hubschrauber. Insgesamt gelangen ihm über 200 Flüge. Für einen kurzen Flug erhielt er im Juni 1908 5 000 Mark Preisgeld aus der Hand Prinz Heinrichs von Preußen. Im Oktober 1908 startete der deutsche Flugpionier Hans Grade mit einer Ellehammer IV. Ellehammer selbst hatte 1916 einen Flugunfall und gab die Fliegerei auf, um sich dem Maschinenbau zu widmen. Erst 1930 erwachte sein Interesse wieder, aber er baute nie wieder ein komplettes Flugzeug.
Wie nahe die Erstflüge von Ellehammer und Santos Dumont zusammen liegen, zeigt jedoch nicht so sehr die intensive Konkurrenz unter den Luftfahrtpionieren. Vielmehr arbeiteten alle zur ungefähr gleichen Zeit an ähnlichen Problemen. Das zeigt sich daran, dass so gut wie alle frühen Flugzeuge Doppeldecker waren. Und auch Santos Dumont musste erst einen leistungsfähigen Motor konstruieren, bevor er sein Flugzeug zum Fliegen bringen konnte. Die Maschinen, die vorher seine Luftschiffe angetrieben hatten, waren zu schwer für ein Flugzeug.
Santos Dumont – Der erste fliegende Brasilianer
Alberto Santos Dumont war der Sohn eines brasilianischen Großgrundbesitzers, der sich um die Finanzierung seines extravaganten Lebensstils in Paris keine Sorgen machen musste. Sein Vater hatte ihn finanziell vorzüglich ausgestattet und 1891 zum Studium nach Paris geschickt. Santos Dumont studierte Chemie, Physik, Astronomie und Mechanik und folgte ziemlich bald seiner Leidenschaft für die Fliegerei. Er baute Ballons, Luftschiffe mit selbst konstruierten Motoren und schließlich Flugzeuge. Er prägte die Luftfahrt ähnlich stark wie die Franzosen Louis Farman, die Gebrüder Voisin, Jacques und Louis Bréguet oder Clement Ader.
Ellehammers geringe Bekanntheit hängt wohl damit zusammen, dass er nicht in Paris lebte, und nicht wie Santos Dumont mit dem eigenen Luftschiff zum Kaffeetrinken oder zum Besuch des „Maxim’s“ in die Stadt flog. Trotzdem gehört er in eine Reihe nicht nur mit den französischen Pionieren, sondern auch mit den deutschen Flugpionieren wie Hans Grade, Igo Etrich August Euler oder Karl Jatho.
Deutsche Flugpioniere
Hans Grade hatte 1908 seine ersten Flüge gemacht und flog am 19. Oktober 1909 erstmals mit seiner „Libelle“, einem Eindecker, auf dem viele deutsche Piloten das Fliegen lernen sollten. August Euler begann 1908 damit, französische Vioisin-Doppeldecker in Lizenz zu bauen und erhielt zusammen mit Grade die ersten beiden deutschen Pilotenscheine.
Der Österreicher Igo Etrich stellte 1910 seine „Taube“ vor, mit der die deutschen und österreichisch-ungarischen Streitkräfte in den ersten Weltkrieg ziehen sollten.
Wie Hans Grade war August Euler zunächst Automobilkonstrukteur und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts Vorstand einer Frankfurter Gummiwarenfabrik. Im Oktober 1908 gründete er in Griesheim die erste deutsche Fabrik für Motorflugzeuge.
Hier produzierte er französische Voisin-Doppeldecker in Lizenz; außerdem richtete er Anfang 1909 auf einem Teil des Truppenübungsplatzes Griesheim den ersten Flugplatz in Deutschland ein. Berlin-Johannisthal entstand erst gegen Ende des Jahres. 1910 erhielt er den ersten in Deutschland ausgestellten Pilotenschein.
Er bildete vom 1910 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 75 Piloten aus. Außerdem realisierte er eigene Flugzeugkonstruktionen. Während des Krieges produzierten die Euler-Werke Kriegsflugzeuge nach eigenen Entwürfen, bauten aber auch andere Konstruktionen in Lizenz und führten Reparaturen für die deutschen Luftstreitkräfte durch.
Euler lieferte insgesamt 420 Flugzeuge ab. Unter den Eigenkonstruktionen waren Schulflugzeuge, Aufklärer und Jagdflugzeuge. Nach dem Ersten Weltkrieg war der Flugzeugbau in Deutschland zunächst verboten; allerdings blieb Euler der Luftfahrt verbunden und leitete bis 1920 das neu gegründete Reichsluftfahrtamt.
Karl Jatho blieb zeitlebens unbekannt
Den aus Hannover stammenden Karl Jatho plagt ein ähnliches Schicksal wie Karl Weißkopf. Er arbeitete bereits seit der Jahrhundertwende an eigenen Flugzeugen, mit denen er zwischen 1903 und 1907 immer wieder kurze Flüge gemacht haben soll.
Jathos Konstruktionen und seine Fortschritte sind gut dokumentiert, und in den Jahren nach 1907 fanden seine Flugversuche auch immer wieder Niederschlag in der Presse. So berichtete der „Hannoversche Courier“ 1907 über Jathos Fortschritte beim Bau eines eigenen Flugzeugs.
Über einen erfolgreichen Flug ist jedoch nichts bekannt. Vor allem fehlen glaubwürdige Augenzeugen. Auch für seine ersten Flüge fehlen glaubwürdige Augenzeugen.
Die einzigen Quellen sind Jathos eigene Schriften. Sonst wäre Karl Jatho der erste, oder mindestens der zweite Motorflieger der Geschichte gewesen. Denn er beanspruchte, bereits am 18. August 1903, vier Monate vor den Wrights, erstmals geflogen zu sein.
Experimentelle Nachbauten seiner Konstruktionen existieren zwar, aber bislang fehlen praktische Versuche, die ihre Flugtüchtigkeit beweisen könnten. Bis zum 1. Weltkrieg baute er weitere Flugapparate und gründete 1913 sogar eine eigene Flugzeugfabrik.
Bildnachweis: © #1 + #3 + #4 + #5 + #8 Wikimedia Commons, #2 Stahlkocher via Wikimedia Commons, #6 + #9 + #10 Wikipedia, #7 + Titelbild igoetrich via Wikimedia Commons
1 Kommentar
Die Gebrüder Wright vs. Weißkopf vs. Grade
Am Sonntag, dem 24.07.2016 wurde in der Fernsehreihe „ Terra X“ in den Abendstunden eine Film-Doku zur Geschichte der Luftfahrt ausgestrahlt. Es ging dabei darum, ob die Gebrüder Wright (1903) oder der Deutsch-Amerikaner Gustav Weißkopf (1901) als erste mit einem Motorflugzeug in die Luft abhoben und Geschichte schrieben. Der amerikanische Luftfahrthistoriker John Brown will herausgefunden haben, dass die Ehre des Erstfluges mit einem Motorflugzeug dem Deutsch-Amerikaner Gustav Weißkopf zukommt, weil dieser bereits mit seiner Maschine Nr. 21 im Jahre 1901 von der Erde abhob und in die Luft aufstieg. Dieser Flug soll ca. eine Halbe Meile betragen haben (ca. 900 m).
Es wurde in dieser Dokumentation stark verbal argumentiert, mit einem Pro und Contra. Als Beweis für Weißkopfs Erstflug sollen 11 eidesstattliche Erklärungen von Zeitzeugen existieren (allerdings kein überzeugendes Foto von seinem Motorflugzeug selbst). Die Fotoaufnahmen von den Gebrüdern Wright zu ihrer Kitty Hawk zum Erstflug sind hingegen nicht sehr überzeugend und äußerst kritikwürdig. Es wurde zum Erstflug der Kitty Hawk ausgeführt, dass der Luftsprung 37 m weit war und 12 Sekunden lang währte. Beim zweiten Flug der Maschine mit einem 12 PS Motor wurden 260 m innerhalb von 59 s überbrückt.
Damit ergibt sich für den zweiten Flugversuch eine Geschwindigkeit zu
v= 260 m: 59 s ≈ 4, 4 m/s ≡ ≈ 16 km/h (1)
(und für den ersten Flug rund 11 km/h).
Die beiden Geschwindigkeiten waren viel zu gering, um die 340 kp schwere Maschine überhaupt abheben zu lassen. Denn es musste ein Auftrieb von über Fa= 340 kp erzeugt werden, um die Kitty Hawk in die Lüfte zu bringen. Aus weiteren Quellen konnte entnommen werden, dass die Spannweite der Maschine 12,3 m betrug und die Profiltiefe der Tragfläche 2 m ausmachte. Der Flächeninhalt der Tragfläche betrug damit insgesamt
ATF= a*b= 12,3 m*2 m= 24,6 m². (2)
Der Auftrieb der Maschine bei einem angenommenen Auftriebsbeiwert cl von 0,4 (moderne Maschinen, wie der A 320 haben einen cl von 0,43 bis 0,45) konnte im günstigsten Fall
Fa= v²*ς*A *cl*0,5 ≈ 19,4 m²/s²*1,3 kg/m³* 24,6*m²*0,4*0,5
≈124,1 N ≈ 12,6 kp (3)
betragen (unter der Annahme cl =1 für den Start, ergäben sich rund 32 kp). Damit ist der Erstflug der Gebrüder Wright vom Dezember 1903 eindeutig und eindrucksvoll widerlegt!
Nun zu Weißkopfs Flugapparat Nr.21: Zu diesem 130 kp schweren Motorflugzeug konnten kaum Daten aus diversen Quellen recherchiert werden. Nur so viel: Die Maschine soll mit zwei Dampfmotoren zu 20 PS (für die beiden Luftschrauben) und 10 PS (für das Fahrwerk) bestückt gewesen sein. Die Geschwindigkeit soll 45 km/h betragen haben. Es konnte von Fotos im Internet approximiert werden, dass die Spannweite der Tragfläche eine Länge von ca. 11 m umfasste und die Tragfläche quasi einen Halbkreis bildete. Der Flächeninhalt betrug somit
A=r²*π:2=5,5²m²*3.14:2 ≈ 47,5 m². (4)
Damit hätte ein Auftrieb von
Fa= v²*ς*A *cl*0,5 = 156,25 m²/s²*1,3 kg/m³*
47,5*m²*0,4*0,5 = 1929,68 N ≈ 197 kp (5)
erzeugt werden können. Nach dieser Datenlage hätte die 130 kp schwere Maschine von Weißkopf unbedingt abheben können, auch unter dem Aspekt des vorherrschenden Luftwiderstandes von ungünstig geschätzt maximal 80 kp, der Rollreibung von taxierten 20 kp beim Start und der projektierten Leistung von insgesamt 30 PS! Was bei der Konstruktion von Weißkopf in jedem Falle angezweifelt werden muss, sind die beiden Dampfmaschinen. Ob die wirklich so funktionstüchtig waren, um das Vehikel in Lüfte zu liften, ist mehr als zweifelhaft! Zudem wurden die Flüge von Weißkopf lediglich durch wenige Augenzeugen bekundet und nicht fotografisch dokumentiert. Ferner konnte man zu einem späteren Zeitpunkt, Ende 2017 der Recherche einer weiteren Quelle entnehmen, dass der Flugapparat Nr. 21 eine Ballast-Zuladung von über 200 Pfund transportiert haben soll (ca. 100 kg/kp). Damit hätte der Auftrieb von 197 kp bei weitem nicht ausgereicht, um die Maschine abheben zu lassen. Denn es gilt die Relation: G > Fa → 230 kp > 130 kp! So ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der deutsche Konstrukteur und Erfinder Hans Grade im November 1908 der erste Mensch war, der sich mit einem Motorflugzeug in die Lüfte erhob, auch unter dem Gesichtspunkt, dass er die ersten leistungsfähigen Motorräder der Welt konstruierte (später Autos und Landmaschinen). Wenn der Erstflug von 100 m Weite und 8 m Höhe Ende 1908 auch mit einer katastrophalen Bruchlandung endete, so absolvierte Hans Grade am 30. Oktober 1909 mit seiner Dreidecker-Konstruktion „Libelle“, die eine 36 PS starke Maschine besaß, erfolgreich eine Flugstrecke von 3 km innerhalb von 163 s auf dem Flugplatz in Berlin Johannisthal – von vielen Augenzeugen beobachtet. Die Geschwindigkeit betrug damit rund 66 km/h – also völlig ausreichend, um den Dreidecker abheben zu lassen! Zudem wurden die Flüge fotografisch Dokumentiert! Da Hans Grade vom deutschen Kaiser und den Nazis hofiert wurde, geriet der Luftfahrtpionier wohl aller Wahrscheinlichkeit nach dem 2. Weltkrieg auf internationaler Ebene nahezu in „Vergessenheit“.
Siegfried Marquardt, Königs Wusterhausen