Die türkische Luftwaffe (Türk Hava Kuvvetler oder THK) ist mit rund 600 Flugzeugen und einer Personalstärke von 60 000 Männern und Frauen die stärkste im östlichen Mittelmeerraum. Außerdem ist sie modern ausgestattet. Sie verfügt über 240 F-16-Kampfflugzeuge sowie 49 modernisierte F-4E „Phantom“, die primär als Bomber eingesetzt werden. Hinzu kommen 59 modernisierte F-5 „Freedom Fighter“.. Im Mittleren Osten sind wohl nur die Luftwaffen Israels, Ägyptens und Saudi-Arabiens in etwa auf dem gleichen technischen Niveau.
Der Juli-Putsch in der Türkei ist zwar wieder aus der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden. Aber die langfristigen Folgen sind deutlich spürbar, zumal in erster Linie Teile von Luftwaffe und Armee am versuchten Staatsstreich beteiligt waren. Präsident Recep Tayyib Erdogan hat auf den Umsturzversuch mit drastischen Maßnahmen reagiert, Reiseverbote für Wissenschaftler verhängt, Richter und Staatsanwälte abgesetzt, die Militärführung ausgetauscht und nicht zuletzt über 80 000 Beamte suspendiert.
Pilotenmangel als Folge des gescheiterten Putsches
Unter den entlassenen Soldaten und Offizieren sind 274 Piloten, hauptsächlich Flieger, die auf der F-16 ausgebildet wurden. Die Zahl entspricht ziemlich genau einem Ausbildungsjahrgang der U. S. Air Force. Für die türkische Luftwaffe bedeutet das, das über die nächsten Jahre erfahrene Flieger für ihr modernstes Jagdflugzeug fehlen. Dieser Mangel wird sich negativ auf die Einsatzbereitschaft auswirken.
Nach westlichen Standards ist ein Verhältnis Piloten/Flugzeug von 1,25 zu 1 notwendig, um die im NATO-Bündnis vorgegebene Einsatzbereitschaft aufrechtzuerhalten. Nach den Entlassungen liegt dieses Verhältnis fürs erste bei 0,8 zu 1. Es müssen also Cockpits leer bleiben, bis die Luftwaffe diese Lücke geschlossen hat. Die hohe Zahl an geschassten F-16-Fliegern erklärt sich daraus, dass nur F-16-Verbände auf Seiten der Putschisten beteiligt waren.
Zudem hatten die Putschisten ihr Hauptquartier auf dem Luftwaffenstützpunkt Akinci, dem Heimathorst des 11. Jagdgeschwaders und seinen drei F-16-Staffeln. Zumindest eine der drei Staffeln war zusammen mit anderen Luftwaffeneinheiten von anderen Stützpunkten am Putsch beteiligt.
Der Staatsstreich beginnt
Der Putsch begann gegen 9 Uhr abends, als Trupps von Spezialkräften in UH-60 „Blackhawk“-Hubschraubern aufbrachen, um hohe zivile und militärische Funktionsträger festzunehmen, speziell Präsident Erdogan selbst. Gleichzeitig setzten sich in Ankara und Istanbul gepanzerte Formationen in Bewegung. Die beiden ersten F-16 der 141. Milo (Staffel) starteten eine Stunde später, gefolgt von zwei weiteren.
Die Flugzeuge bombardierten das Hauptquartier der Spezialkräfte der Polizei und die Zentrale der polizeieigenen Hubschrauberverbände. Dabei töteten sie 47 Menschen und zerstörten mehrere Hubschrauber. Anschließend flogen die Jets immer wieder im Tiefflug über Ankara und zündeten die Nachbrenner, um etwaigen Widerstand einzuschüchtern. Zu ihrer Unterstützung waren mindestens zwei Boeing KC-135R „Stratotanker“ vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus gestartet, von dem aus auch NATO-Kräfte über Syrien operieren.
Als nächstes starten etwa zwei Dutzend Eurocopter AS. 352 „Cougar“– und Sikorsky S-70 „Blackhawk“– Hubschrauber mit weiteren Spezialsoldaten an Bord vom Armeestützpunkt Güvercinlik nahe Ankara. Sie wurden von Bell AH-1 „Cobra“-Kampfhubschraubern unterstützt. Die Soldaten besetzten das Hauptquartier des Generalstabs und der dem Militär unterstehenden Gendarmerie. Sie setzten einen großen Teil der jeweiligen Führung fest. Andere Trupps besetzten das Hauptquartier des Militärgeheimdienstes MIT und übernahmen den nationalen Fernsehsender TRT.
Kampfhubschrauber beschossen den Präsidentenpalast, nachdem sie dort auf Widerstand gestoßen waren, ebenso das Parlament, das MIT-Hauptquartier, das Gebäude des Fernsehsenders TurkSAT und das Hauptquartier von Erdogans Partei, der AKP.
In Istanbul besetzten Putschisten zwei Brücken über den Bosporus und den internationalen Flughafen. Außerdem landeten zwei AS. 352 Spezialsoldaten, die den größten Teil der Luftwaffenführung gefangen nahmen, als die Generäle eine Hochzeit besuchten.
Video: türkische Kampfjets
Dieses Video zeigt türkische, US-amerikanische und jordanische Kampfjets während des Manövers „Anatolian Eagle 2013“. Zu sehen sind türkische F-4E, F-16 und T-38-Maschinen sowie C-130-Transporter, aber auch F-15 der USAF.
Wie Präsident Erdogan entkam
Die wichtigsten Operation war jedoch ein Schlag ins Wasser. Die 25 Kommandosoldaten, die in zwei Hubschraubern nach Marmaris an der türkischen Riviera geflogen waren, um den Präsidenten selbst gefangen zu nehmen, verfehlten Erdogan um knapp 20 Minuten. Erdogan war gerade noch rechtzeitig gewarnt worden und hatte sein Urlaubsdomizil, ein Luxushotel, sofort verlassen. Trotzdem erklärten sich die Putschisten auf einer eigens eingerichteten Website gegen 1.00 Uhr morgens am 16. Juli zum Sieger.
Jetzt rächten sich sowohl die Bombardierung des Parlaments als auch eine drastische Nachlässigkeit. Die Putschisten hatten versäumt, auch die nationale Flugsicherung am Flughafen Esenboga und den Flughafen selbst nahe Ankara zu übernehmen. Hier saß der türkische Innenminister fest, der sofort damit begann, den Widerstand zu organisieren. Die Bomben auf das Parlament hatten tausende dazu gebracht, auf die Straßen zu gehen. Sie protestierten gegen den Putsch, und versammelten sich unter anderem in Esenboga, sodass die Putschisten dort nichts mehr unternehmen konnten.
Unterdessen war Erdogan von Marmaris zum Flughafen Fetiye gefahren und hatte sich von dort an Bord eines regierungseigenen Gulfstream IV-Jets auf den Weg nach Norden gemacht. Die Putschisten schickten F-16-Jäger und eine KC-135R in den Westen der Türkei, aber ohne die Hilfe der Bodenradars der Flugsicherung blieb die Suche erfolglos. Noch vom Flugzeug aus rief Erdogan gegen 23.17 Uhr bei CNNturk an Über das Smartphone einer Reporterin appellierte er an die Bevölkerung, „die Demokratie zu verteidigen“. Tausende sollten diesem Appell in den nächsten Stunden folgen.
Erdogans Maschine war zunächst über Istanbul gekreist, dann aber abgedreht, als sich herausstellte, dass der Flughafen dort in der Hand der Putschisten war. Es gab einen dramatischen Moment, als eine F-16 der Rebellen tatsächlich Radarkontakt mit der Gulfstream bekam. Allerdings wußte der Pilot wohl nicht, wen er vor sich hatte. Denn die Besatzung der Gulfstream hatte den Transpondercode des Flugzeuges geändert, mit dem sich der Jet automatisch bei der Flugsicherung identifizierte. Die Gulfstream war nun keine Regierungsmaschine mehr, sondern ein normales Verkehrsflugzeug. Außerdem flogen die Piloten ohne Positionslichter.
Der Gegenschlag
Währenddessen versuchte Premierminister Binali Yildrim, die Luftwaffe dazu zu bringen, für den Präsidenten zu kämpfen. Aber die meisten großen Luftstützpunkte lehnten ab und wollten sich neutral verhalten. Zumal selbst nach Erdogans dramatischen Appell über CNNturk die Lage verwirrend genug gewesen sein dürfte, um vorsichtig zu sein. Nur die Basis in Konya schickte schließlich F-16-Jäger, um die Präsidentenmaschine zu begleiten, mochte den Piloten aber nicht erlauben, auf angreifende Putschisten zu schießen.
In Ankara verloren die Rebellen die Kontrolle über den Ataturk-Flughafen, sodass die Gulfstream mit Präsident Recep Tayyip Erdogan an Bord gegen 2. 30 Uhr morgens sicher dort landen konnte. In der Luftwaffe hatten die in Eskisehir stationierten F-4 „Phantom“-Staffeln sich von Anfang an loyal verhalten.
Um 4.00 Uhr morgens starte von Eskehir aus eine gemischte Formation aus F-4Es und und F-16-Jägern, um die die Startbahn in Akinici zu bombardieren. Danach besetzten loyale Truppen den Fliegerhorst und nahmen Akin Oztürk, den Anführer des Staatsstreiches fest. Gleichzeitig erschienen F-16-Jäger der Loyalisten über Istanbul und Ankara und drängten die Jets der Putschisten ab. Ein KC-135-Tankflugzeug der Rebellen stieg auf seine maximale Flughöhe und kreiste über der Stadt, um nicht abgeschossen zu werden. Zwei Hubschrauber, eine AH-1 „Cobra“ und eine S-70 „Blackhawk“ hatten nicht so viel Glück. Sie wurden abgeschossen.
Außerdem übernahmen loyale Truppen den Militärflugplatz in Incirlik, um die dort stationierten Tankflugzeuge der 101. Staffel unter Kontrolle zu bekommen.
Der Staatsstreich bricht zusammen
Damit war der Putsch praktisch vorbei. Die rebellierende Truppenteile am Boden gaben nach und nach auf. So ergaben sich die Besetzer der beiden Bosporus-Brücken der anrückenden Polizei, um nicht von wütenden Demonstranten gelyncht zu werden. Erdogan und die AKP reagierten in den folgenden Tagen mit drastischen Maßnahmen. Obwohl nur eine kleine Fraktion in der türkischen Luftwaffe und in der Armee den Staatsstreich unterstützt hatte, wurden rund 1000 Polizisten, 7500 Offiziere, darunter 85 Admiräle und Generäle verhaftet.
Auf Seiten der Putschisten flogen zwischen vier und sechs F-16-Jäger, vier KC-135R-Tankfliugzeuge, rund dreißig Transporthubschrauber der Typen Eurocopter AS. 532 und Sikorsky S-70 „Blackhkawk“, mehrere AH-1 „Cobra“-Kampfhubschrauber und acht größere Transportflugzeuge, darunter C-130 „Hercules“ und die beiden A400M der türkischen Luftwaffe. Die Zahlen mögen wenig beeindruckend erscheinen, aber sie zeigen zum Beispiel, dass die Putschisten die Staffel, die die acht türkischen KC-135-Maschinen betreibt, komplett ‚umgedreht‘ hatten. Auch der Kommandant der Basis in Incirlik, Bekir Ercan Van, hatte den Staatsstreich unterstützt.
Nachwirkungen
Für die Luftstreitkräfte sind die Konsequenzen schwerwiegend. Die hohe Zahl entlassener Kampfpiloten bedeutet, dass die Einsatzbereitschaft der F-16-Jäger sinkt. Der amerikanische Luftfahrtexperten Mike Benitez und Aaron Stein schreiben auf der Website „War on the rocks“, dass wahrscheinlich fünf F-16-Staffeln aufgelöst werden, speziell die drei in Akinci stationierten Verbände und die beiden Jagdbomberstaffeln in Bandima. Darunter ist auch die 143. Staffel aus Akinci, die eigentlich F-16-Piloten ausbildet.
Das dürfte sich auf die Operationen der THK über Syrien und dem Irak auswirken, denn die F-16-Flotte hatte die Hauptlast der Einsätze getragen. Nun aber verliert sie gleich vier ihrer sieben Jagdbomberstaffeln. Von den 240 F-16-Jets können wohl nur noch 140 betrieben werden. Auch die Neuaufstellung der Umschulungseinheit für die F-16 wird Zeit kosten. Die Tankerstaffel ist noch stärker betroffen, denn hier sind 30 Piloten entlassen worden. Für die THK-Einsätze gegen den so genannten ‚Islamischen Staat‘ ist das ein weiteres Handicap, denn die Tankerstaffel hat die Reichweite und Flugdauer der Kampfflugzeuge deutlich erhöht und auch alliierte Jets bei ihren Einsätzen unterstützt.
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